Das Defilee auf dem Bildschirm hatte begonnen. Gebannt starrt Rosanna, die schwarzhaarigste aller potenziellen Liebhaberinnen, auf den Bildschirm, während ich neben ihr auf der Couch lümmelte und Erdnüsse knabberte. Modenschau! Reiche und Schöne gaben sich in Paris ein Stelldichein. Prêt-à-porter! Das Modeereignis in der Seine-Metropole schlechthin! Nabelschau der mondänen Gesellschaft, der Olymp der Eitelkeiten. Gewöhnliche Sterbliche ausgeschlossen und für herkömmliche Frauen eine irreale und unerreichbare Welt. Journalisten, Prominente und androgyne Lebensformen mit Dutt und Zöpfen sonnen sich im Blitzlichtgewitter.
Die TV-Moderatorin versuchte einer Kollegin der Modezeitschrift Vogue kurz vor dem Spektakel noch neueste Trends zu entlocken, als zuckende Spots aufflammen und den Laufsteg bombardieren. Grelle Scheinwerfer richten sich auf eine gruselige Gestalt. In laszivem Habitus, den jeden normalen Mann zu Tode erschrecken könnte, und mit eingefrorener Miene stakt ein Fleisch gewordener Hungerhaken im Storchenschritt auf seinem meterhohen Fahrwerk über den Catwalk.
»Oh Schmerz lass nach«, bricht es aus mir heraus. »Was ist denn das? Karneval
ist doch erst wieder im nächsten Jahr!«
»Sei nicht so borniert! Das ist Kelvin Klein!«, rüffelt mich
Rosanna und starrt gebannt auf die Mattscheibe. »Das kriegst du nur in exklusivsten
Boutiquen in den Metropolen...«
Verstohlen schaue ich auf die Uhr. In zehn Minuten würde die Sportschau beginnen und ich werde allmählich nervös. »Boutiquen sind nichts weiter als Werkstätten für Hohlraumversiegelung…«, gifte ich leise.
Grüne Nebelschwaden wabern über die Bühne und hüllen die geifernde Neugierde der geladenen Gäste ein. Psysodelische Klänge kriechen unter die Haut und Lichtblitze hageln wie explodierende Halluzinogene auf den Catwalk. Unwirkliches Halbdunkel taucht schaurige Blunzen und geliftete Matronen, goldbehängte Scharteken, multikaratbestückte Fregatten und alternde Millionenerbinnen in gnädiges Licht. Runzelhälse, Lippen wie aufgepumpte Gummischläuche und silikonoptimierte Brüste, mürbes Fleisch und Südseebräune verschmelzen zu einer Symbiose modernen Lifestyle-Feelings.
»Als nächstes sehen sie Bettina«, kündigt die Stimme des
schwulen Moderators ein hoch aufgeschossenes Bügelbrett an. »Sie trägt ein
modisches Wickelkleid aus poliertem Hasendraht mit verspielter
Pailletten-Applikation auf edlen Hamsterfellen. Es verleiht dem trendigen
Ensemble einen lockeren, jugendlichen Suburb-Touch.«
Frenetischer Beifall
brandet auf. »Schau Dir die an…«, knurre ich gereizt.
»Sssst...!«
»Die erinnert mich an die Hungersnot im Senegal letztes Jahr«, murmle ich und lege beim Nüsseknabbern einen Zahn zu.
Wieder blicke ich auf
die Uhr. Juventus Turin und Lazio Rom würden in diesem Augenblick am Anstoß
stehen. Wenn ich mich anstrengte, könnte ich Rosanna rechtzeitig umstimmen, ins
zweite Programm umzuschalten. Vielleicht hatte ich eine Chance auf einige
Spielsequenzen der ersten Halbzeit, wenn ich ihr das schaurige Treiben madig
machte.
»Ich wette, 95% aller
Frauen, bekommen diese Wucherfetzen nicht einmal über die Oberschenkel, ganz zu
schweigen über ihren Hintern....«
»Kannst Du nicht einmal für fünf Minuten deinen Mund
halten?« schnitt mir Rosanna unwirsch das Wort ab.
Beleidigt schiebe ich die nächsten Erdnüsse nach und spüle sie mit einem kräftigen Schluck Montepulciano Rosso hinunter.
»Erleben Sie nun einen
unserer Höhepunkte, wertes Publikum!« Der schwule Francois gerät in Verzückung,
als er Iris ankündigt. Das Haus »Assemblée de la faim« zählt seit Jahren zu den
Trendsettern wahrer Haute Couture. Der Chefdesigner Sandro Mozzarella geht mit
seinem Modell Soweto den Weg neuer Einfachheit.«
Mir klappt der Unterkiefer auf die Brust.
Iris, 1,89 groß, knappe
40 Kilo Lebendgewicht und kurz vor dem Hungertod latscht im Schlendergang über
den Laufsteg. Ein paar schlaksige Drehungen vor gierigen Linsen, und die
medienwirksame Gruselshow driftet ihrem Glanzpunkt entgegen.
»Die Kreation „The New Poorness” besticht durch fransigen
Flickenlook aus originellen Kaffeesäcken, Yoghurtbechern und ausgewählten
Isolierbändern ...!« tönt die begeisterte Stimme des Conferenciers. »Ungewöhnliche Materialien stehen im Vordergrund und vermitteln lebendige und minimalistische
Lebensfreude. Unser Design-Maestro hat sich auf seinen Reisen durch die
Townships von Johannesburg inspirieren lassen. Damit kann sich die mutige Dame
mit ausgefallenem Geschmack auch in Monaco sehen lassen...«
»Ich glaube kaum, dass schwarze Mummies in den Armenquartieren Südafrikas so herumlaufen. Die würde man dort vermutlich sofort ausquartieren…«, bemerke ich kauend und nippe an meinem Weinglas. »Dieser knochigen Bohnenstange würde man nicht einmal eine Wellblechhütte in den schlechteren Lagen vermieten!«
Rosanna wirft mir einen
vernichtenden Blick zu. »Du bist ignorant, wie alle Männer in deinem Alter! Das nennt
man experimentelle Mode. Ist doch klar, dass so etwas nicht alltagstauglich
ist.«
»Das ist genauso wie die ideale Liebe, nicht wahr?«,
bemerke ich mit provokativem Unterton. »Sie ist auch so wahnsinnig unpraktisch
für den Alltag… Besser ignorant als schlecht gekleidet.«
»Sei doch mal still…! Du siehst doch, dass mich die Sendung interessiert.«
Ich insistiere
unbarmherzig weiter. »Du weißt selbst, Mode-Designer sind meistens über ihre
neuesten Kreationen selbst so entsetzt, dass sie sie manchmal mehrmals im Jahr
wieder ändern.«
»Weißt du was?«, zischt Rosanna gefährlich durch die Zähne.
»Die Hauptfeinde der Mode sind Menschen wie du. Schau mal in den Spiegel, wie du
herumläufst!«
»Ich bin Schriftsteller, ich darf so aussehen!«
»Wir Frauen können uns jedenfalls deinen Stil nicht
leisten!«
»Ist aber allemal billiger als Lagerfeld«, unterbreche ich
ihren Redefluss. »Schau sie dir doch an, diese blasierten Gattinnen viel beschäftigter Manager. Sie werfen das Geld für Luxusfähnchen aus dem
Fenster und greifen sich zwischen dem Besuch bei Gucci und dem 5-Uhr Tee potente
Bonvivants zum lustvollen Relaxen. Hauptsache, sie sind mindestens zehn Jahre
jünger.«
»Das kommt daher, weil es Männer wie dich gibt, mein
Lieber!«, giftet Rosanna.
Das war ein Tiefschlag in die Magengrube meiner Künstlerseele. Ich würde mit unsachlichen Argumenten kontern müssen.
»Ach ja? Weshalb suchen denn
Frauen um die vierzig nach Jünglingen, die normalerweise unter Welpenschutz
stehen? Ich hab‘ das Gefühl, je älter die Scharteken, desto frivoler ihre
Wünsche! Ihr gafft nur noch nach Modellathleten, Knackärschen und
Waschbrettbäuchen.«
»Na klar«, antwortet die schwarzhaarigste aller potenziellen Liebhaberinnen mit triefender Ironie. »Für den Spaß zwischendurch darf es ruhig ein langhaariger Möchtegern-Musiker oder ein brotloser Autor wie du sein. Natürlich nur, wenn er 20 Jahre jünger ist und in einer verdreckten Absteige lebt, für die er weder Miete noch Strom bezahlen kann. Schon wegen der Romantik, weißt du? Und auf gar keinen Fall darf es ein Null-Acht-Fuffzehn-Typ sein. Die überlassen wir natürlich Lieschen Müller.«
Keine Ahnung, wie es Rosanna
immer wieder schaffte, meine gut platzierten Gegenstöße zu parieren.
»Bleibt nur noch das Problem des standesgemäßen Wohnens«, knurrte ich böse. »Wenn du einen potenten Typen abschleppen willst, musst du ihm etwas bieten! Die erfolgreiche Frau von heute braucht mindestens ein Penthaus, wahlweise ein Loft, eingerichtet nach den Regeln von Feng-Shui. Und die vielen Kleinigkeiten, die eine moderne und aufgeschlossene Lady benötigt, zahlt natürlich der Gatte! Das Abonnement im angesagten Fitness-Studio, die Frisur lässt man im Anschluss vom schwulen Detlev machen, danach ausgiebiges Schoppen bei Gucci oder Versace, und zum Abschluss einen Cappuccino auf der Piazza, derweil der Teilzeit-Lover im Sonnenstudio seine Lenden bräunen lässt.«
Ich halte für einen
Augenblick inne, um die Wirkung meiner Worte zu auszukosten.
»So ist es, mein Lieber«, erwiderte Rosanna mit sarkastischem Unterton. »Selbstverständlich sind wir mit all unseren Trainern, Friseuren und
Golflehrern und per du. Und mit unserem Latin-Lover speisen wir in
Nobelrestaurants, bevor wir uns gegen ein Taschengeld dem Cunnilingus hingeben.«
»Das meinst du doch nicht im Ernst«, erwidere ich
erschrocken.
»Woher willst du denn das so genau wissen?«
Ich hole tief Luft. »Du
willst mir doch nicht etwa erzählen, dass…«
»Schhh ...! Jetzt halt doch mal die Luft an. Die Modelle von Armani sind an der Reihe.«
Entkräftet lasse mich
ins Sofapolster sacken und stopfte mir eine Handvoll Erdnüsse in den Rachen.
Die Halbzeit zwischen den beiden Topmannschaften der italienischen Liga ist vorüber,
ohne dass ich einen einzigen Freistoß hätte genießen dürfen. Aber was ist schon
ein Fußballspiel mit Italiens Superkicker gegen Armanis Kleiderständer!
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Einfach nur herrlich! So ähnlich spielt es sich bei uns zu Hause auch ab. 😜🙃
AntwortenLöschenWenn ich all diese strunzdummen, egomanischen und getunten Schabraken sehe ,kann ich besser verstehen,warum Männer schwul werden.
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