Bald haben wir ihn
wieder! Zum 147.ten Mal! Deutschlands neuesten Superstar. Ich frage mich, wie
ich bislang ohne ihn, DSDS und die kompetente Jury überleben konnte. Das dunkle
Zeitalter unerträglichen Mangels deutschen Liedgutes liegt endlich hinter mir. Vorbei
ist die Zeit, in der ich mich mit dem Geträller amerikanischer Entertainer
begnügen musste. Endlich würdigt man Arbeitslose, Dünnbrettbohrer und
Sozialhilfeempfänger, die um die Wette trällern, ohne eine Vorstellung zu
haben, welche Bedeutung ein Violinenschlüssel hat. Welch ein Glücksfall für
einen aufsteigenden DSDS-Kometen, der keine Stimme hat, obwohl ihm auch das
Gehör fehlt.
Fernsehen hat die
Deppen sesshaft gemacht, das bemerkt man an den Einschaltquoten. Täglich
fiebern Millionen von Unterbelichtete mit. Woche für Woche! Dieter Bohlens
bringt die Zuschauer an den Bildschirmen hinsichtlich Inhalt, Substanz und
Dramaturgie an den Rand intellektueller Überforderung. Selbst die Jury, bei der
man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass sie vom "Herrn" in
einem Anfall von Zorn erschaffen wurde, könnte unterirdischer nicht sein. Ohne
Werbepausen würde ich diesen Thrill nicht überleben.
Wären die
RTL-Macher nicht auf die geniale Idee eines Sänger-Wettbewerbes gekommen,
niemals würde ich von der Existenz hunderter singender Blindgänger erfahren
haben. Sie liegen nicht im Wettbewerb mit anderen, sondern mit ihren Irrtümern,
sie könnten zum Star reüssieren. Nun ja, ohne Lärm fühlt sich der herkömmliche
Prolet nirgends so richtig anwesend, schon deshalb darf man sich nicht über den
Andrang wundern, der bei den Atem raubenden Ausscheidungskämpfen herrscht!
Doch so neu sind
solcherart Veranstaltungen auch wieder nicht! Schon die Griechen trugen vor
mehr als 2000 Jahren Sänger-Wettkämpfe aus. Sie waren Bestandteil des
olympischen Ur-Spektakels. RTL hat den ursprünglich olympischen Gedanken wieder
aufgenommen und ich muss gestehen, Deutschland befände sich ohne diesen hoch
anspruchsvollen Sender in der Diaspora musikalischen Niemandslandes. Er hat
sich dank einer weitsichtigen Marketingstrategie um unser Land gleich zweifach
verdient gemacht. Niemand weiß besser als unsere Medienmacher, beeindruckende
Persönlichkeiten, überragende Intelligenzen oder gar die Fähigkeiten des Noten
Lesens sind heutzutage kontraproduktiv und machen beginnende Karrieren sofort
zunichte.
Im Allgemeinen
reicht es völlig aus, wenn man als Sänger einen schlechten Ruf und über einen
IQ knapp über der Zimmertemperatur verfügt, dann stellt sich der Erfolg mit
ziemlicher Sicherheit ein. Hilfreicher dagegen ist, wenn man dem Publikum
glaubhaft versichern kann, der Künstler sei von einer lesbischen Mutter
aufgezogen worden und daher schwul. Seit Jahren leide er an Bulimie, weil die
eigene Schwester auf den Strich geht und der Vater wegen pädophiler Neigungen
im Knast sitzt. Nur in diesem Zusammenspiel kann man in der Medienbranche
richtig groß herauskommen.
Was hatte im
Vergleich zu unseren „Song-Kometen“ im DSDS beispielsweise Beethoven zu bieten?
Er wurde im Armengrab verscharrt und das muss seinen Grund gehabt haben. Ich
versuche mir vorzustellen, Haydn und Brahms hätten sich damals in Hotelzimmern
geprügelt und dabei die halbe Einrichtung demoliert. Mit dem richtigen Promoter
im Rücken wäre aus den Wüstlingen der Romantik „The Synphonic-Brothers“
geworden und sie wären überdies als wegweisende Protagonisten in die Geschichte
eingegangen.
Was, wenn die
Modeberater der Juroren den begnadeten Wolfgang Amadeus Mozart ausgestattet
hätte? Wie wäre die Karriere von Meister Bach verlaufen, würde er als Hupfdohle
im schrillen Röckchen auf der Empore der Heiliggeist Kirche mit langhaarigen
Blondinen im Backgroundchor aufgetreten sein? Wer weiß, Bach trüge heute den
schmückenden Beinamen: „The King of the Soul-Organ“ und die Toccata hätte man
als Evergreen auf der Straße gepfiffen.
Heute wissen wir:
Medien, die den Skandalerwartungen nicht nachkommen, gehen unspektakulär ein.
Ich bin davon überzeugt, im Zeitalter des elektronischen Meinungsterrorismus
können nur noch die TV-Verweigerer das Blatt noch wenden. Ich befürchte jedoch,
dass dank des unermüdlichen Einsatzes von Heidi Klum, Dieter Bohlen und
Dschungelcamp Deutschland im Jahr 3244 nur noch aus Superstars bestehen wird,
da hat einer mit Gymnasialreife oder Abitur seine Daseinsberechtigung verwirkt.
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