In der römischen Antike kannte man die
Formel „do ut des“. Sie beschreibt das Verhältnis zu den Göttern: Man
brachte den Göttern angemessene Opfer und erwartete eine Gegengabe oder ein
Gegendienst. Diese Formel findet auch heute in der Justiz wie auch in der
Politik ihre tägliche Anwendung. Machen wir uns nichts vor. Deutschland brachte
Opfer. Jetzt ist Deniz Yücel frei und jeder Bürger in Deutschland stellt die
berechtigte Frage, wie hoch der Preis für die Entlassung aus dem Gefängnis wohl
gewesen ist.
Da saßen gestern Abend bei Anne Will genau die
Richtigen beisammen, die wenig überzeugend Sigis Statement, es habe keinen Deal
gegeben, mit blumigen Argumenten und bemühter Überzeugungskraft wiederholten.
Der schleimigste Opportunist in der Runde durfte beginnen. Ulf Poschardt,
seines Zeichens WELT-Chefredakteur, einer jener bunten Hunde in der
schreibenden Zunft, denen der Ruf vorauseilt, gerne auf anderer Kollegen Kosten
Karriere zu machen.
Mit seinem bekannt links-humanistischen Sprachduktus,
gab er sich erleichtert darüber, dass sein Kollege nunmehr auf freiem Fuß ist.
Freilich lässt er sich nicht darüber aus, wie die Affäre Yücel überhaupt
zustande kam und welche internen Verabredungen es gab. Wollte die
Springerpresse gemeinsam mit Yücel eine Aktion durchziehen, die Aufsehen
erregen sollte, dummerweise aber fehlgeschlagen ist? Dieser feine Herr
Poschardt ist hinreichend für zweifelhaften Journalismus bekannt, hat man ihn
doch wegen Durchwinkens gefälschter Interviews und Stories 2001 bei der
Süddeutschen Zeitung ruckzuck auf die Straße gesetzt. Dass man die lauteren
Motive des WELT-Redakteurs mit Vorsicht genießen muss, liegt auf der Hand.
„Wir konnten nicht nachvollziehen, weshalb Deniz wegen
zweier Texte in türkischer Untersuchungshaft saß, und das ohne Anklage“, begann
der WELT-Chef mit manierierter Gelassenheit. Merkwürdig, denn just in der
türkischen Säuberungswelle konnte nahezu jeder nachvollziehen, dass
Journalisten mit kritischen und teilweise provozierenden Publikationen ihrer
Freiheit nicht mehr sicher sein durften. Schon gar nicht dann, wenn, wie bei
Deniz Yücel, gegen den in der Türkei bereits ein Haftbefehl bestand. Und
dennoch reiste er dort ein? Wer die zwei Texte von ihm gelesen hat, wundert
sich nicht über eine schnelle und auch logische Reaktion türkischer
Sicherheitskräfte.
So harmlos, wie die Herren in den feinen Anzügen bei
Anne Will auftraten, so harmlos war das staatsprovozierende Vorgehen des
Journalisten wahrlich nicht. Bei dem zwielichtigen Unternehmen des Verlages muss
die Frage erlaubt sein, inwieweit die beiden Busenfreunde Yücel und Poschardt
in ihrer unübertroffenen Arroganz glaubten, dem türkischen Staatspräsidenten
mit dem Ziel maximaler heimischer Auflagen, unbehelligt ans Bein pinkeln zu
können.
Die Märtyrerrolle war wohl kalkuliert. Die 12 Monate
Haft nicht. Man rechnete mit einer kurzen Festsetzung in der Annahme, man sei
WELT-Redakteur und damit unantastbar. Gegen ein sattes Honorar tut man so
Einiges, wenn man glaubt, das Risiko sei überschaubar. Dem war wohl nicht so.
Umso lauter das empörte Geschrei deutscher Medien bei der Festsetzung des
Journalisten. Man kann es drehen und wenden wie man will, die Genese der
politischen Bemühungen, insbesondere die der Herren Schröder und Gabriel rund
um die plötzliche Freilassung des Journalisten, hat mehr als nur einen
unangenehmen Beigeschmack, sie stinkt zum Himmel. Yücels Inhaftierung hat den
Türken in die Hände gespielt. Jetzt galt es dem aufgebrachten Volk
klarzumachen, man kämpft für einen unschuldig Inhaftierten, um bei Erfolg sensible
Gegenleistungen ungestörter zu legitimieren.
Offen gestanden, mein Bedauern über die einjährige
Haft des Schreiberlings hält sich in engen Grenzen, zumal Yücel ohnehin bekannt
dafür ist, dass er sich gerne mit unangemessenen Provokationen profiliert. Nun
ja, bald werden wir ihn in sämtlichen Talkshows und politischen Runden
bewundern dürfen. Ein türkisch stämmiger Journalist, der Deutschland
publizistisch mit Dreck bewirft, von Erdogan in Knast gesteckt wird, sollte
ganz kleine Brötchen backen, wenn er die Hilfe von genau jenen Menschen
erwartet, die er vorher zutiefst beleidigte
Ich will nicht behaupten, dass die beiden umstrittenen
Journalisten vorsätzlich ein Politikum geplant haben, mit dem man den
Deutsch-Türken nahezu perfekt zum Märtyrer einer ganzen Branche hochstilisieren
konnte. Aber genau diesen Verdacht wird man nicht los. Vor allem, wenn man die
Einlassungen und Kommentare des WELT-Delinquenten genauer liest. „Für einen
schmutzigen Deal gebe ich mich nicht her“, so seine Verlautbarungen, noch bevor
sich die Gefängnistore für ihn öffneten.
Für was hält sich dieser Yücel? Hatte er die
Entscheidungskraft über seine Entlassung oder gar über das politische Geschehen
zwischen Deutschland und der Türkei? Bestimmte etwa er über türkische Gerichte?
Welch eine krankhafte Selbstinszenierung! Nein, ich bin weit davon entfernt,
mich mit Yücel zu solidarisieren oder mich gar über den einjährigen Knast eines
Schreiberlings zu empören, der in seinen völlig hirnrissigen Texten Deutschland
den Untergang herbeiwünschte.
Dass Erdogan dringend seine deutschen Leopardpanzer
aufrüsten will, und überdies gemeinsam mit Rheinmetall in der Türkei eine
Panzerfabrik bauen will, ist kein Geheimnis. Dass Sigmar Gabriel Unterstützung
für weitere Waffenlieferungen von der Freilassung Denis Yücel abhängig gemacht
hat, ist ebenso wenig strittig. Seit Monaten brennt es an der Devisen- und
Geldfront des türkischen Sultans. Der Tourismus liegt am Boden, und deutsche
Wirtschaftsbosse zieren sich, in der Türkei zu investieren. Da tat die
Charmeoffensive des türkischen Ministerpräsidenten Yilderim Not. Bei Angela
Merkel war der Türke bemüht, „gutes Wetter“ zu machen.
Die Gesprächsbereitschaft zwischen beiden Ländern sei
da, meinte Merkel, betonte aber gleichzeitig die Schwierigkeiten, die es in
diesem Prozess der Annäherung noch gebe. Der Fall Deniz Yücel habe zu einer
Trübung der deutsch-türkischen Beziehungen geführt und sei immer noch „eine
Bürde“, sagte die Kanzlerin. Die Bundesregierung warte ein Jahr nach Yücels
Verhaftung nun darauf, dass bald Anklage erhoben werde, und setze sich auf
allen Ebenen für ein schnelles Verfahren ein. Der Türke ließ sofort wissen,
dass man das Verfahren beschleunigen wolle. Wenn wir die diplomatischen
Floskeln ins Deutsche übersetzen, lauten sie in etwa so: Deutschland genehmigt
weitere Waffenlieferungen und die Panzerfabrik, im Gegenzug lassen wir den
Herrn Journalisten frei. Nun ja, wie es wirklich ablief, werden wir später am
Ergebnis des Aktienkurses von Rheinmetall ablesen können.
Aber nein, es gibt keinerlei Verträge, so Michael Roth
(SPD) bei Anne Will. Mit anderen Worten: Ein Staatsminister will den Zuschauern
allen Ernstes einreden, Erdogan würde aus purem Humanismus und ohne jeden
Eigennutz einen aus seiner Sicht kleinen, unbedeutenden Journalisten frei lassen,
weil er ihn so wahnsinnig mag. Wie lächerlich wollen sich SPD-Funktionäre und
Politiker denn noch machen? Eine Steigerung nach Schulz ist schon jetzt kaum
noch möglich. „Die Freilassung von Deniz Yücel war formal und offiziell eine
juristische Entscheidung“, schob er nach. Mir blieb bei diesem idiotischen Satz
beinahe der Kartoffelchip im Hals stecken.
Der CDU-Politiker und Vorsitzende des Auswärtigen
Ausschusses des Deutschen Bundestages kam ebenfalls nicht umhin, in der
Freilassung von Yücel eine politische Entscheidung zu sehen – „dessen
andauernde Inhaftierung sei für die Regierung in Ankara unbequem geworden. Auf
eine schnelle Gegenleistung dürfe die Türkei jedoch auf keinen Fall hoffen. Der
Zuschnitt der Türkei auf ein autokratisches Machtsystem nach Präsident Erdogans
Gnaden führe das Land weg von Europa,“ so Röttgen. Am Tag von Yücels
Freilassung seien zum Beispiel mehrere Journalisten zu lebenslanger Haft
verurteilt worden. Gleich darauf meinte Peter Steudtner, der sich auch nicht
erklären kann, weshalb er verhaftet wurde, Waffenlieferungen müsse man komplett
verbieten, was ein amüsiertes Zucken um die Mundwinkel Röttgens provozierte.
Journalisten einsperren ist schlimm. Menschenrechte
unterdrücken, Reputation mit Schlägertruppen verteidigen, Kritiker mit
Berufsverboten belegen, das nenne ich kriminell. Während es Politikern
anscheinend völlig wurscht ist, ob sie einem Massenmörder, einem Olympiasieger
oder einem Stardirigenten die Hand reichen und bei der Begrüßung lächeln, löst schon
der Gedanke, einem Kerl wie Erdogan in den Hintern zu kriechen,
Verdauungsstörungen aus. Die Verlogenheit des politischen Geschäftes ist
dermaßen offensichtlich, dass Wahrheiten aus einem Politikermund in der
Bevölkerung Panik auslösen würde.
Die Türkei ist längst ein Unrechtsstaat, ein
autokratisches Machtregime, dessen Umgang man als denkender Mensch nach Möglichkeit
meidet. Die Türkei passt weder in die Nato noch nach Europa. Jeder weiß es,
sogar unsere Politiker. Aber wie sagt man so schön? Geschäft ist Geschäft.
Deniz Yücel war eine kleine, unbedeutende Verhandlungsmasse, wenn man bedenkt,
was die Produktion von Tausend Leopardpanzer verknüpft mit millionenschwerer
Waffenlieferungen einbringen. Nein, ich glaube nicht an das Gute in Politikern,
ich glaube an deren Streben nach Macht und Einfluss. Ethisch und moralisch
korrumpiert. Nicht mehr und auch nicht weniger.
Moral und Ethik haben weder bei Yücel und Ulf
Poschardt, noch bei Merkel, Gabriel, Schröder und sonstigen Machtpolitikern
einen besonders hohen Stellenwert. Jeder handelt nach dem Motto: Do ut des, die
Formel, die auch zwischen der Türkei und Deutschland angewendet wurde. Ich
dagegen frage nur: Cui bono – wer hat den Nutzen. Da fallen mir gleich mehrere
Antworten ein.
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