Wenn man als Fremder auf der Autobahn die Schweiz besucht, fährt man meistens gleich durch und macht erst nach der italienischen oder französischen Grenze eine Pause. Denn schon ein Stopp auf einer Raststätte mit Kaffee und Toilettenbesuch entspräche in Griechenland, Portugal oder neuerdings auch in Deutschland einer mittleren Investition, für die man einen Kleinkredit aufnehmen müsste.
Noch vor 20 Jahren gab es Deutsche, die in einem der entzückenden Städtchen anhielten, jedoch nach einem kurzen Bankaufenthalt das Land wieder verließen. Und da der Schweizer relativ verschwiegen ist, weiß man relativ wenig über die Bewohner und deren Gebräuche. Berühmt geworden ist das Alpenland durch die UBS und die Credit Suisse, aber auch dort hüllt man sich in Schweigen, vorwiegend auch deshalb, weil der Rest Europas verarmt ist und man Neid vermeiden will. Immerhin ist von den Schweizern so viel bekannt, dass sie wahnsinnig schlagfertig sind, sofern man ihnen ausreichend Zeit dazu lässt.
Dennoch, kaum ein
Dokument ist begehrter, als der Schweizerpass. Weshalb? Auch das ist nicht
bekannt, man forscht noch. Lange Zeit war man davon überzeugt, die
Anziehungskraft des begehrten Ausweises sei auf die enormen Geldreserven und
Innovationsfreudigkeit der alpenländischen Bewohner zurückzuführen. Immerhin
erfanden sie den Schweizer Käse, Präzisionsuhren, Riccola Kräuterbonbons, die lilafarbene Kuh, Toblerone und
das Bankengeheimnis. Wann der erste Schweizer erfunden wurde, ist in der
Geschichtsschreibung nicht erwähnt.
Was also macht den Schweizer aus? Wenn er sich selbst beschreiben müsste, würde er sich als bescheidenen Duckmäuser bezeichnen, der mit schamhaft verborgenem Selbstbewusstsein seinen gediegenen Reichtum verwaltet. Gewiss, das griffige Selbstbild lässt ahnen, dass er zumindest kritische Einsicht zeigt, wenn man auf sein Geld zu sprechen kommt.
Eines scheint
sicher: Sollte man einen Schweizer Bankier aus dem Fenster springen sehen, handelt
es sich nicht um einen Suizid, von dem man ihn abhalten sollte. In einem
solchen Fall springen Sie hinterher, denn es gibt bestimmt etwas zu verdienen! Ist
ihm langweilig, widmet sich der Schweizer seinen Finanzobligationen,
Aktienpaketen und Pfandbriefen.
Eine weitere herausragende Eigenschaft des Ur-Helveten darf nicht unerwähnt bleiben. Ein Eidgenosse macht grundsätzlich keine störenden Geräusche, er schmutzt nicht und bevorzugt Unterwäsche mit Bügelfalten. Er ist unauffällig, unfruchtbar, unsichtbar, geruchs- und geräuschlos und vor allem ungeheuer fleißig. Genauer gesagt, zielstrebig. Sein Ziel: Das Vermögen des Ausländers, des Einreisenden, des Durchreisenden, des Dienstreisenden und der Tunnellbenutzer.
Es ist ein böses Gerücht, wenn da und dort behauptet wird, dass in der Schweiz alle Straßen sauber seien und Schmutz nur auf seinen Bankenkonten sie finden sei. Vermutlich hat dieses Vorurteil das Wesen des Schweizers nachhaltig beeinflusst. Er ist so sehr um Unauffälligkeit bemüht, dass man ihn selbst im Hindukusch oder in der Sahelzone kaum bemerkt. Auch im Inland fällt er nicht auf.
Das mag daran liegen, dass er wegen seiner geringen Population im Vergleich zu den angrenzenden Ländern eher selten vorkommt. Der Schweizer ist sozusagen eine Rarität unter den knapp 400 Millionen Europäern und pflanzt sich aufgrund des Sprachengewirrs, des seltsamen Dialektes und den damit verbundenen sprachlichen Missverständnissen nur sehr selten fort.
Das sei hier an einem Beispiel besser erklärt. Während sich hierzulande eine Kölnerin ohne Probleme hinsichtlich ihres durchaus berechtigten Begattungsanliegens problemlos und zügig mit einem Frankfurter oder auch Ostfrisen aus Jever einigen kann, stößt eine Räto-Romanin aus Graubünden auf erhebliche kommunikative Hürden, sollte sie auf einen Kerl aus Locarno, Bern oder Genf scharf sein. Verlassen wir das Feld der lustvollen Fertlität.
In der Regel lebt der Eidgenosse zurückgezogen und bevorzugt als Lebensraum, vergleichbar mit den Murmeltieren, überwiegend höhere Gebirgslagen. Der Einfachheit halber hat er sein Land weitestgehend untertunnelt, damit der Fremde schnell vorankommt und er selbst nicht gesehen wird.
Weil es Touristen, Durchreisende und Urlauber in der Regel eilig haben, hatten die Schweizer Behörden geplant, an Tunnelausgängen Depotstellen einzurichten, damit der Tourist dort unbürokratisch und ohne weiteren Aufenthalt sein Geld abgeben kann. Leider erweisen sich immer mehr Besucher als renitent und missachteten dieses Anliegen, zumal Reisende aus Deutschland im eigenen Land schon so nachhaltig geschröpft wurden, dass sie nichts mehr haben, was sie in der Schweiz zurücklassen könnten und daher sparen müssen.
Man verzichte besser darauf, die Schweiz mit dem Auto zu durchqueren oder gar einen längeren
Aufenthalt bei den Eidgenossen zu erwägen. Denn überall liegen Polizisten auf
der Lauer, die verlorene Einnahmequellen von zurückgehaltenen Schwarzgeldern durch drastische Bußgeldern bei
Geschwindigkeitskontrollen kompensieren. Nichtsdestoweniger sieht man es in der
Schweiz gerne, wenn der Ausländer nicht länger stört als unbedingt nötig und
sofort abreist, sobald er pleite ist.
Sollte ein
Reisender wider Erwarten doch einmal übernachten müssen, verblüfft ihn der
Eidgenosse mit zwei gut gehüteten Geheimnissen. Lila Kühe geben statt Milch
Ovomaltine und das in der Stadt Brig erfundene Cordon Bleu besteht lediglich
aus zwei dünnen Schweineschnitzeln, die mit billigem Käse aus Holland gefüllt
werden. Ein weiteres Geheimnis erwartet den Reisenden vor Straßentunnels. Sehr
gerne werden sie wegen des Verkehrs in den Abendstunden für mehrere Stunden
geschlossen, um die Gastronomie zu unterstützten. Hotelbetten und Abendessen
sind immer doppelt so teuer wie der Tourist in seiner Brieftasche bei sich
trägt.
Unkundige Zeitgenossen behaupten, reinrassige Schweizer gäbe es ebenso wenig wie reinrassige Kühe. Aber das halte ich für eine Legendenbildung. Zum großen Teil stammen sie vom gleichen Volksstamm wie die Österreicher oder die Deutschen ab, drum heißen sie ja auch Alemannen, nur dass sie einfach anders sind. Wie sehr sie sich von den Anwohnern rings um ihre Grenzen unterscheiden bemerkt der Tourist, wenn er aus Neugierde die Tunnelautobahn verlässt oder weil es ihn in den endlosen schwarzen Löchern gruselt.
Verlässte der Automobilist den Tunnel, entdeckt er plötzlich und unvermittelt den
zurückgezogenen Nachkommen Tells am Wegesrand. Dort pusten sie tieftönig in
riesige Alphörner, dass es einem die Magenwände dreht. Meist stehen ein paar
Japaner in der Nähe und klatschen Beifall. Beim Schweizer kommt Freude auf. Er
hat mal etwas gewagt – ist lautstark aus der Deckung gekommen, verschwindet aber gleich wieder.
Genauer gesagt, er verzieht sich hinter einer seiner windschiefen Holzhütten, auf deren Dächern er ganze Mineraliensammlungen drapiert hat. Das Gewicht der Steine soll verhindern, dass der Wind die Hütte einfach mitreißt. Oder dass sich die Decke hebt, weil im Winter nicht gelüftet wird. Offenbar hat der helvetische Vorfahre des Schweizers schlechte Erfahrungen gemacht.
Prinzipiell ist der herkömmliche Schweizer ein Patriot, und überdies der Überzeugung, sein Land sei allen anderen überlegen, schon weil er dort geboren wurde. So dürfen seit einiger Zeit in der Alpenrepublik embryonale Stammzellenforschungen betrieben werden. Dazu wurde natürlich die Meinung des Volkes eingeholt, die Embryos allerdings wurden nicht befragt.
Immerhin, so verweist der Schweizer auf die Geschichte, sei der fromme Katholik Chavez als erster Mensch im Flugzeug über die Alpen geflogen. Allerdings verschweigt der Helvete schamhaft, dass der Held vor Schreck über seinen todesmutigen Wagemut gleich danach verstarb. Außer Wilhelm Tell und Chavez gab es nur noch einige Skiabfahrtsläufer, den Tennisspieler Roger Federer und einige Schweizer Uhrenmarken, die über deren Grenzen hinaus berühmt wurden. Die bedeutendste Schweizer Erfindung allerdings stammt von Paracelsus. Laudanum! Ein Beruhigungsmittel, das man allen Fremden verabreicht, die ein Vier-Gänge-Menü mit der Familie in einem Gasthaus am Wegesrande bestellt haben und im Anschluss die Rechnung präsentiert bekamen.
Verlassen wir das Thema Geld und widmen uns dem Urschweizer. Im Sommer kraxelt der Helvete mit seinen stets frisch gewaschenen Kühen und Ziegen ziemlich hoch hinauf, damit sie besonders saftiges Bergwiesengras fressen können und später besser schmecken, was er den Tieren natürlich verheimlicht. Ist er endlich oben, verbringt er ein paar Monate in einer einsamen Almhütte oder auf der Holzbank davor, lässt sich einen Bart wachsen und alle nennen ihn Alm-Öhi. Nebenbei panscht er aus der Milch löchrigen Käse, den er später für jede Menge Franken wieder verhökert. Nun ja, wie man weiß, haben die Schweizer ihren Preis. Notfalls nehmen sie auch Euro.
Im Winter lebt er weiter unten, ist geselliger und wird trotzdem merkwürdigerweise nie Tal-Öhi genannt. Dass alle Schweizer Heidi oder Peter heißen stimmt übrigens nicht, manche heißen auch Vroni und Ruedi. Ist der Eidgenosse gut drauf, dann tunkt er seine Mahlzeiten in einen großen Topf mit heißem Käse, dreht und wendet jeden Bissen ein paar Mal, zieht lange, gelbe Fäden quer über den Tisch und vertilgt dann sein Milchprodukt.
Ach ja, sauber und reinlich ist er, der Schweizer. Deshalb ist es dem Durchreisenden anzuraten, stets alle Spuren seiner Anwesenheit vollständig zu tilgen, empfehlenswert ist es, auf der Durchreise einen mobilen Müllbeutel, mitzuführen, um Papiertaschentücher, Bonbonpapier und andere missliebige Verschmutzungsrelikte wieder mit nach Hause zu nehmen. Das ist dem Schweizer außerordentlich wichtig.
Insgeheim hat der Schweizer Angst, irgendwelche Nachbarn könnten auf ihn herabschauen, weil sein Land so klein und so uneben ist, oder nicht zur EU gehört. Deswegen sind für die Schweizer die Deutschen beispielsweise gar keine Ausländer, sondern ein abschreckendes Beispiel einer unangenehmen, meist störenden Lebensform.
Trotzdem staunt er immer wieder, wenn andere sein Land wunderschön finden und er bemerkt gar nicht, dass Ausländer ihn bewundern. Denn die haben ihrerseits einen kleinen Komplex vorm Schweizer, weil er so erfolgreich und so organisiert, und so vollbeschäftigt und so gut bezahlt ist. Und, das möchte ich an dieser Stelle hervorheben, weil er rein topographisch gesehen weit oben wohnt. Da bleibt einem gar nichts anderes übrig, als zu ihm aufzuschauen.
Darauf kann man
nur ein Bitter Lemon trinken, ein erfrischendes Getränk, das 1783 von dem
Schweizer Jacob Schweppe erfunden wurde und seither in unseren Getränkemärkten
steht. Hollerödiljöö.
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