Anne Wills Sendung erinnerte
mich stark an "Ich bin ein Star - holt mich hier raus! Fünf Minuten später
musste ich meine Meinung revidieren. Ähnlich, wie Ratiopharm in den
Werbepausen, die mit mithilfe der blonden Zwillinge dem schmerzgeplagten
TV-Konsumenten seine Pillen andreht und „gute Besserung“ wünscht, so rührt Anne
Will für den Buchhändler aus Würselen die Werbetrommel, ganz im Stile der
Kaffeefahrten, in denen Rheumadecken unter Gutgläubige verhökert werden. Zu
überhöhten Preisen, versteht sich. Die Inkarnation der roten Worthülse legte
sich mächtig ins Zeug.
Wie hört man aus den Reihen
der Roten: Schulz ist der bessere Gabriel. Seine Performance stimmt. Die
Selbstbeweihräucherungsarie im Willi-Brandt-Haus geriet zu einer
euphemistischen Siegesfeier. Du liebe Güte, wenn Selbstdarstellung zum
Qualifikationsmerkmal wird und die immer gleichen Slogans mit der Mimik eines
Siegers aufgezählt werden, dann kann ich genauso gut einen Zirkusclown zum
Kanzler machen. Der allerdings hat den Vorteil auf seiner Seite. Die Leute
kämen auf ihre Kosten und hätten etwas zu lachen.
Es menschelt gewaltig, wenn der frisch inthronisierte
SPD-Zampano über „hart arbeitende Menschen, soziale Sicherheit im Alter und
bezahlbaren Wohnraum“ schwadroniert. Ich sehe es ihm nach, dass er glatt
vergisst, dass seine Politkonkurrenz mit Inbrunst die gleichen Nöte anprangert.
Alleinstellungsmerkmal ist anders. Nun kann man einem Schulabbrecher nicht böse
sein, wenn er den politischen Horizont seiner Heimatstadt nur marginal
überragt, und wenn er dafür plädiert, dass auch die sozial Schwachen ein Dach über
dem Kopf haben sollen. Alle Wetter, welch ein innovativer Gedanke!
Nur der Ordnung halber
möchte daran erinnern, dass der Mietspiegel von Würselen derzeit 7,95 Euro
beträgt, in München jedoch 21,26 Euro und in Berlin immerhin noch 15,60 Euro
beträgt. Busfahrer, Krankenpfleger, Polizisten und Verkäuferinnen und alle „die
schuften und schuften“, die, lieber Herr Schulz, können solche Mieten auch in
Zukunft nicht annähernd zahlen. Es ist kaum anzunehmen, dass ein Kölner
Vermieter vor lauter Aufbruchstimmung in der SPD die Miete um zwei Drittel
reduziert. Wie sagte Schulz so überzeugend? In elf Jahren im Rathaus von
Würselen habe er alle Alltagssorgen mitbekommen, und die seien doch viel
wichtiger als Debatten im Bundestag. Nun ja, Würselen ist eben der Nabel der
Welt.
Dann holt er den ganz großen Knüppel aus dem Sack, der
Schulze aus der nordrhein-westfälischen Kleinstadt. Er verspricht in einem
Atemzug höhere Löhne und sichere Jobs. Die Frage, wie er das anstellen möchte,
wurde von Frau Will gar nicht erst gestellt. Vermutlich ist diese Richtung in
die Abteilung "unbequeme Fragen" gerutscht und der Streichung zum
Opfer gefallen. Überhaupt bleibt Schulz Antworten an Stellen schuldig, wo es
wirklich spannend wird.
Die Ich-AG in der Person von Martin Schulz hat sich zur
Dauer-Werbe-Sendung gemausert, in der leeres Gewäsch als echte Inhalte verkauft
werden. Für wie selbstverständlich er es hält, dass außer ihm
niemand für den Job im Kanzleramt in Frage kommt („ich bin gefühlt und faktisch
der beste Kandidat“), verrät mit jeder Formulierung Größenwahn. Ich
kenne das ja schon von REWE, ALDI, oder LIDL, wenn ich diese gigantischen
Packungen mit Cornflakes kaufe und hinterher feststelle, dass ich mit den halb
leeren Karton bunter Cerealien höchstens drei Mal satt werde. Viel Verpackung,
wenig Inhalt - und der Kunde hat hinterher das Gefühl, beschissen worden zu
sein.
Wie es um Ängste und Nöte der Bürger bestellt ist, scheint
ihn weniger zu tangieren. Er führt „die volle Härte des deutschen Gesetzes
auf“, wenn es um Einbrüche, Seriengrapscher, Diebstahl oder gar
Vergewaltigungen geht. Da lacht ganz Deutschland. Und schon bietet er mit
markigen Worten seine Zukunftsvisionen an. Nein, Schulz beamt mich mit seinem
kraftvoll-kernigen Ton in die Sendung der TV-Domina um 1 Uhr 40 in RTL2: „Ruf
mich an…“ Es gelte Superreiche, Rechtspopulisten und EU-Kritiker zu bekämpfen,
und Gerechtigkeit einzuführen. Ein Glück, dass er keine Peitsche dabeihatte.
Ich will Kanzler werden, tönt es vollmundig. Ja, mein
Bäcker um die Ecke würde auch gerne 5 Euro für eine salzlose Semmel erzielen.
Nur ich kaufe sie ihm nicht ab. Und Irgendjemand müsste Martin Schulz noch
sagen, dass er, bevor er nach dem Regierungsamt greift, auch noch eine Wahl
gewinnen muss...
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