Soziologisch betrachtet hat sich unsere
Welt, insbesondere in den westlichen Ländern, in den letzten 50 Jahren
signifikant verändert. Nicht nur technisch, ökonomisch oder politisch.
Besonders zivilisatorische Umbrüche und gesellschaftlicher Wandel haben in die
Wertewelt unserer Väter tiefe Wunden geschlagen.
Vor 10 Jahren starteten zwei Tschechen
einen Werbefeldzug für ein neues Einkaufsparadies. Zwei Wochen lang bewarben
unzählige Radio- und TV-Spots, Flyer und Zeitungsanzeigen den Hypermarkt für
ein besseres Leben. Die Straßen von Prag waren vollgepflastert mit Plakaten,
Neonwerbung und Reklametafeln. Doch die Slogans widersprachen völlig unserer
modernen Orientierung. "Nicht kaufen", "Nicht hingehen",
"Gebt kein Geld aus!", forderten sie die Passanten auf. Am Tag der
Eröffnung strömten über 12.000 Neugierige in die Vorstadt. Über freies
Brachfeld stürmten die Schnäppchenjäger auf den vermeintlichen Konsumtempel zu.
Beim Lauf über das leere Feld wollte jeder der erste sein. Alle wollten dabei
sein. Niemand wollte sich etwas entgehen lassen.
Doch der Konsumhimmel entpuppte sich als
Traumkulisse. Hinter dem Gerüst mit der 100 Meter langen Gebäudefassade gab es
nichts als eine ungemähte Wiese. Wider Erwarten kam es unter den irregeführten
Besuchern keinen Ärger, es kam auch nicht zu Tumulten oder Ausschreitungen. Nur
die Medien und das Parlament entrüsteten sich über die potemkinsche
Attrappenkunst. Eine unverschämte Irreführung unverantwortlicher Soziologen, so
hieß es.
Aber was ist die Quintessenz? Die
Verbrauchssucht im Hirn sitzt bei uns so tief, dass fast jedes Billigangebot
Aufmerksamkeit erregt. Triebverzicht, Realitätsprinzip und Selbstdisziplin
haben als zivilisatorische Stütze ausgedient. Und wenn es nicht der Konsum ist,
dann ist es der Drang, etwas Besonderes zu sein. Einmal Star sein, einmal im
Fernsehen auftreten, einmal in einem Dschungelcamp auf sich aufmerksam machen.
Die Geisens werden zum Vorbild, Trash wird zum Kult. Hirnleere in Reinstform.
Offenbar hat der Konsumismus die kollektive Mentalität von Grund auf verändert,
die sich exemplarisch in Berlin zeigte. Nacktshopping in Berlin. (siehe Foto) Nicht Durchschnitt ist inzwischen das Maß der Dinge, sondern
die anmaßende Vorspiegelung von Wissen, Bildung oder Kompetenz ohne jedwede
Basis ist das Maß geworden. Wer überzeugender hochstapelt, wer besser spielt,
wer unverschämter angibt, hat gewonnen.
Das zeigt sich dem Soziologen heute auch
im Umgang der Menschen untereinander. Orientierungen sind inzwischen weitgehend
pervertiert. Die Zeit des Konsums zerfällt in eine Abfolge von Punkten,
Augenblicken, Chancen, die sofort genutzt werden müssen. Wer zu spät kommt,
erwischt nur mehr Ladenhüter. Selbst der Sex ist inzwischen dem Verbraucherwahn
zum Opfer gefallen. Wenn beispielsweise Sex eine Ware ist, ist Attraktivität
die Währung! Die Attraktivität jedoch lässt sich nur mit der kosmetischen
Wirkung eines hohen Bankkontos oder einer bedeutsamen Stellung in der
Wirtschaft erklären, nicht etwa mit Hirn, Kompetenz oder Bildung. Meist geht
beides Hand in Hand.
Die hedonistische Tretmühle verheißt
sofortiges Glück und enttäuscht mit bleibendem Unglück. Die Sterblichkeitsquote
der Hoffnungen ist hoch, und dennoch jagen unzählige Menschen blindlings den
Zufällen hinterher, die einzig in ihrer Vorstellung existieren. Doch eine
Konsumgesellschaft regelt Zugehörigkeit und Mitgliedschaft über die Teilhabe am
Massenkonsum. Nicht Bildung, Wissen, Arbeit oder Besitz bestimmen die soziale
Position, sondern das Verbrauchsniveau. Wem die Mittel zum Einkauf fehlen, den
benötigt die Gesellschaft nicht. Er ist wertlos, nutzlos, überzählig. Er wird
nicht gebraucht und ist daher unerwünscht.
Um die gesellschaftlichen Ursachen der
Armut zu übertünchen, gibt die Apologie des Konsumismus den sozialen Abstieg als
aktiven Akt der Freiheit aus. Die Schulabbrecher, Drogenabhängigen, Bettler,
Brandstifter, ledigen Mütter und betrunkenen Väter - und das teilen sie jetzt
auch noch mit mehr als einer Million Flüchtlinge und Migranten, die sie als
Bedrohung, Konkurrenten oder Gefährdung des eigenen Milieus erleben. Nun ja,
könnte man sagen, haben sie ihr Schicksal nicht alle selbst gewählt? Schuld an
der Armut ist angeblich der Arme selbst. Wo die politische Ideologie nur noch
die Alternative Markt oder Staat kennt, löst sich der Sinn für
gesellschaftliche Prozesse in Nichts auf. Sprengstoff, der sich in der Wahl
neuer, alter Werte äußert. Denn Menschen, die aufwachen, wählen plötzlich und
sehr zum Ärger der etablierten Führungselite, die AFD.
Hier liegt das eigentliche Dilemma einer
zutiefst verrotteten Politik mit schamlosen und rücksichtslosen
Politikvertretern. Denn ausgerechnet unsere Staatsführer sind jene, die uns
Vorbilder abliefern, die gottserbärmlich sind. In dem Maße, wie sie den Sinn
für Verlässlichkeit, Verantwortung und Zugehörigkeit durch inkompetente,
kurzlebige Politik vernichten, in gleichem Maße zerstören sie durch eigene,
machtpolitische Versorgungsmentalität die Kerne sozialer Solidarität, die
Menschen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln könnten. So löst sich auf, was
uns als Werte wichtig, ja unverzichtbar ist. Weder Verwandtschaft noch
Nachbarschaft, weder Freundschaft noch Gemeinschaft taugen mehr dazu, die
lustlose Einsamkeit des Massenkonsumenten auszugleichen.
Sie höhlen unsere Gesellschaft aus und
ermuntern letztendlich noch die Entbehrlichen unserer Gesellschaft, indem sie
die Verblödeten in die Höhlen wertloser Schundware treiben - oder auf die grüne
Wiese in der Vorstadt, wo nichts als leere Versprechen zu haben sind. Und genau
jene, leere Versprechungen, hohle Ankündigungen und substanzlosen
Verbesserungen erwarte ich auch nach der Bildung der neuen Regierung.
Egozentrische Hohlköpfe produzieren eben nicht mehr als ein großes Nichts - und
der Bürger wird sich damit zufriedengeben.
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