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Im Hinterhof der SPD

Der Sonderparteitag der SPD in Bonn ist vorüber. Mit Mühe und Not haben die zwei Berufsproleten das Ruder gerade noch einmal herumgerissen. Saft- und kraftlos sang Schulz sein Europalied und bewies in Verkennung der Stimmung und der Problemlage im Lande gleichzeitig, dass in seiner Partei von originären, sozialdemokratischen Ideen oder Inhalten nicht mehr viel übriggeblieben ist. Wie zum Teufel kann Schulz davon ausgehen, dass sich Leiharbeiter oder Geringverdiener, Hilfskräfte oder Rentner, Sozialarbeiter oder Paketzusteller für Europapolitik und globales Denken interessieren? Gewiss…, auch wichtig! Aber erst, wenn primäre Bedürfnisse der breiten Masse erfüllt sind.

Schulz gab bei seiner Rede ein Bild des Jammers ab. Da stand einer auf dem Podium, dem man weder Führungsstärke noch den Sensus fürs Notwendige bescheinigen konnte. Nahles hingegen glänzte am Rednerpult mit einem kämpferischen Hinterhof-Duktus, der von den Delegierten überwiegend mit versteinerten Mienen zu Kenntnis genommen wurde. Beim Vokabular und Gebrüll der SPD-Vorsitzenden fühlte man sich unwillkürlich an Heinrich Zilles Arbeitermilieu in Berlin Wedding versetzt. Mit ihrem Gassen-Jargon traf sie zwar die Seele und das Niveau von Ihresgleichen, nicht aber die wahren Wünsche der Genossen.


Beinahe flehentlich wiederholten die Vorstände in variantenreichen Satzstellungen das passend gemachte Mantra der GroKo. Während sich die Argumente der Parteispitzen wiederholten, standen Dutzende von Delegierten draußen im Foyer, rauchten und diskutierten darüber, wie und ob sie noch rechtzeitig nach Hause kommen. Jedem Vernunft begabten Zuhörer, musste es bei Schulzens Argumentations-Kracher beinahe die Schuhe ausziehen, als er kurz vor der Abstimmung meinte: Ein Prozent von Etwas sei besser als Null Prozent von Nichts.

Ätschibätschi-Andrea, die Copilotin des Buchhändlers aus Würselen, koberte eine gefühlte halbe Stunde übers Mikrophon wie der vom Marktschreier Aale-Dieter auf dem Hamburger Fischmarkt: „Kauft Leute kauft... Alle Fische erste Qualität!“ Und selbst auf den hintersten Plätzen des Plenums konnte man riechen, dass die angebotene Ware stinkt. Den Bürger auf der Straße interessiert eine europäische Union bestenfalls am Rande. Selbst die Digitalisierung reißt ihn kaum vom Hocker. Er will wissen, ob er nächstes Jahr seine Miete noch bezahlen, seine defekte Waschmaschine ersetzen und den Kühlschrank füllen kann. Was nützen auf der Bühne Leidenschaft, Scharmützel und Argumente, wenn nicht jene Themen den Vorrang haben, die die Menschen in unserem Lande tatsächlich bewegen?

Jetzt hat sich die SPD selbst niedergerungen, indem sie eine Hürde genommen hat, bei der niemand weiß, ob man nicht schon bei der nächsten auf die Schnauze fällt. Wie sagte der rhetorisch begabte Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert entnervt? „Eigentlich wollen wir ja gar nicht, aber wir müssen doch.“ Ausgelutschte Stichwörter wie Globalisierung und Digitalisierung locken keine Hunde mehr hinterm Ofen vor, vor allem jene nicht, die auf der Realebene des Lebens mit einer Rente von unter 1000 Euro leben müssen. Es steht zu befürchten, dass ihnen noch die Augen übergehen werden.

Die SPD wolle sich nicht „verzwergen“ lassen, so der Endzeit-Terminus einer völlig desolaten Partei. Nun ja, denke ich mir, selbst unter den kleinsten Zwergen gibt es immer einen, der etwas Größer ist als die anderen. Und der glaubt dann, er sei ein Riese. Es ist eben immer eine Frage der Verhältnisse. Da müssen sich ehemalige SPD-Wähler, zumal die in Nordrhein-Westfalen, fragen: Hat die SPD-Führung wirklich verstanden, warum sich SPD-Hochburgen über Nacht in AfD-Hochburgen verwandelt haben? Denn Europa wird es auch nicht richten, um eine weitere, weichgekaute Floskel hinzuzufügen.

Nur eine Stelle der Partei-Plattitüden schreckte ich auf, nämlich die Passage, als Martin Schulz auf Bildung zu sprechen kam. Vom „Bildungsleuchtturm“ und von einer "Revolution" der Bildungspolitik in Deutschland war die Rede. Ausgerechnet Schulz, bei dem berechtigte Zweifel angebracht sind, ob er kompetent genug ist, über Bildung zu debattieren, oder ob er, um das Wort „Verzwergung“ noch einmal aufzugreifen, nicht eher bodenständigere Themen aufgreifen sollte. "Gerechtigkeit für alle", beispielsweise. Oder auch: "Wir unterstützen alleinstehender Mütter". Schöne, platte Sätze, die locker über die Lippen gehen, nicht weiter anspruchsvoll sind und bei parteimüden Zuhörern wohlwollende Zustimmung erfahren.

Die Auszählung in Bonn hatte etwas Gespenstisches an sich. Kaum Applaus bei der Basis, als das Ergebnis von Heiko Maas verlesen wird. Die Verliererpartei wird also in die Koalitionsverhandlungen mit einer Verliererpartei einsteigen. Man kann es drehen und wenden wie man will. SPD-Bosse, die angetreten waren, die Kanzlerin zu verhindern, wurden von 80 Prozent aller Wähler gar nicht dazu ermächtigt. Dennoch haben sich die Genossen dazu durchgerungen, eine Kanzlerin zu inthronisieren, die ihrerseits von knapp 70 Prozent nicht gewählt wurde. Martin Schulz quittierte diese doppelte Selbstvergewaltigung mit den Worten, man sei nun erleichtert. Spontan frage ich mich: Worüber eigentlich? Doch nicht etwa über die schalmeienhaften Gitarrenklänge, die im Anschluss des Votums folgten?

Die Kanzlerin ist allemal erleichtert und machte sofort klar, dass man bei den anstehenden Verhandlungen auf Basis der Sondierungsergebnisse fortschreiten wolle. Klartext: Bei uns gibt es nichts mehr zu verhandeln. Die Kernpunkte der CDU stehen! Aha…! Wäre ich gutgläubig, würde ich annehmen, es bliebe alles beim Alten. Aber ich bin misstrauisch und befürchte: Unsere Regierung wird frühestens Ende März beim Stillstand richtig Fahrt aufnehmen, sofern wir dann endlich eine haben.

Noch haben die Gegner der großen Koalition Hoffnung. Ein Mitgliederentscheid am Ende der Verhandlungen steht noch an. Die jungen SPD-Wilden -, genau wie Zigtausende SPD-Mitglieder -, sie liegen allesamt auf der Lauer. Nicht nur Schulz und Nahles müssen die Renegaten fürchten, auch unsere Noch-Kanzlerin auf Abruf. Sie läuft Gefahr, bei einem Scheitern der Koalitionsverhandlung selbst im Nirwana zu verschwinden. Es beißt die Maus den Faden nicht ab, Tatsache bleibt: Wer unter Verleugnung eigener Überzeugungen und im Geiste eigener Überschätzung eine Verbindung mit dem Gegner eingeht, darf davon ausgehen, dass seine Überlebenschancen sehr überschaubar sein werden.

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