Am Sonntag geht es nicht nur für Martin Schulz um alles. Doch
wenn es dumm läuft, steht die gesamte SPD-Führung vor einem Scherbenhaufen. Wir
erinnern uns. Vor der Sondierungsphase plusterte sich Schulz auf und verbreitete
mit künstlich aufgeblähter Brust euphorischen Siegeswillen.
Vor den Wahlen startete der Parteivorsitzende noch als Adler, breitete
seine Schwingen aus und erhob sich in die Lüfte. Bis dahin feierten ihn seine Genossen
frenetisch. Doch jetzt versagen sie ihm den Applaus für seinen Höhenflug. Alles
deutet darauf hin, dass er als entkräfteter Spatz auf der politischen Realebene
zur Landung ansetzt. Es könnte gut sein, dass Martin trotz aller flatterhaften Bemühungen,
nicht zu schnell an Höhe zu verlieren, beim Sonderparteitag am Wochenende
tot vom Himmel fällt.
Seit einer Woche gibt er sich bei den Landesverbänden die Klinke in die
Hand und versucht, die wütende Basis davon zu überzeugen, dass alles, was er
noch am Wahlabend kategorisch ausgeschlossen hatte, jetzt als Maß der Dinge zu
verkaufen. Blöd…, es fehlen die Kunden. Selbst im Internet versuchte er gestern
noch mit heftigen Flügelschlägen die letzten Federn zu retten, die ihm beim
Flug in luftiger Höhe bündelweise verloren gingen. Allein, es hagelte auf dem
Bildschirm überwiegend wütende Smileys.
Wie muss sich ein Politiker fühlen, wenn er sein Publikum um
Vertrauen bitten muss. Nennt man das Selbstverleugnung? Wahrnehmungsverzerrung? Politische Blindheit? Längst ist klar ist, dass er genau jenes Vertrauen verspielt
hat was er jetzt einfordert. In seinem Facebook-Auftritt spricht er von mehr Geld für
Schulen, Gebührenfreiheit bei Kindergärten und der paritätischen
Krankenversicherung, von der Stärkung Europas und vom Kampf gegen Sozialdumping. Glaubt er etwa an das, was er seinem Publikum gerade erzählt? Ach ja, möchte man seufzend hinzufügen: Klingt alles ganz schön. Man lehnt sich
im Sessel zurück, nimmt Dutzendweise die politischen Konjunktive zur Kenntnis und
blendet die immer gleichen Wahlkampfphrasen entnervt aus.
„Was wir bei der Sondierung rausgeholt haben, ist so viel, dass der
Parteivorstand dem Ergebnis einstimmig zugestimmt hat“, schob der
Parteivorsitzende mit entschlossener Miene und geballter Faust nach, und der
Fernsehzuschauer wird dabei das Gefühl nicht los, dass Schulz von den eigenen
Genossen kastriert wird. Die Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben, zumal er
weiß, dass die SPD nach den Verhandlungen mit leeren Händen dastand. Es kommt
selten gut an, wenn man mit leerem Beutel große Sprünge machen will.
Und dann bekennt er sich, dieser Schulze. Ein JA zur
Groko! Aber mit einer Sollbruchstelle. Der Genosse reibt sich irritiert die
Augen. Nach zwei Jahren müsse man überprüfen, was man erreicht habe, so Schulz.
Dann könne auf den Parteitagen der SPD darüber befunden werden, ob man weitermache.
Mit ihm jedenfalls sei es nicht zu machen, dass getroffene Vereinbarungen im
Koalitionsverstrag nicht umgesetzt würden. Guter Gott, denke ich, Martin Schulz
setzt nicht nur als gegeben voraus, dass es zu Koalitionsverhandlungen kommt,
er zieht auch den Bruch mit der Regierung nach zwei Jahren in Betracht. Unsere
geschäftsführende Kanzlerin Frau Merkel wird sich fragen müssen: Weshalb eine
Groko, wenn der zukünftige Koalitionspartner bereits vor der Bildung einer
Koalition die Scheidung plant?
Nein, ein Staatsmann ist er wahrlich nicht, dieser Herr
Schulz. Er ist weder ein gewiefter Stratege noch ein kluger Taktiker. Mit
seinem opportunistischen Zick-Zack-Kurs verspielt er gerade den letzten Rest an
Zustimmung. Einzig seine Sprechblasen, Polit-Metaphern und seine inhaltsleeren
Phrasen, die beherrscht er perfekt, zumal er sie im Laufe der Jahre so lange
geübt hat, dass er sie sogar im Tiefschlaf rezitieren kann. Das rückgratlose Geschwätz
macht den Wähler wütend und ohnmächtig zugleich. Die Quittung? Die konnte jeder
heute Morgen in den Nachrichten vernehmen. Die SPD rutschte in der Wählergunst
auf 18 Prozent ab. Nein, selbst die SPD hat einen solchen Parteiführer nicht
verdient.
Wie sagt man im Volksmund so schön? Politiker sind wie
Schlauchboote. Je mehr Luft in Ihnen ist, desto besser schwimmen sie oben. Im
Falle Martin aus Würselen fürchte ich, dass sein politischer Freund Siggi auf
die Idee kommen könnte, ihm hinterrücks die Luft abzulassen.
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