Merkels gestriger Auftritt mit dem hessischen Ministerpräsidenten
Volker Bouffier könnte man als missglückte Wahlkampfposse beschreiben. Ich sehe
sie vor meinem geistigen Auge, die vor Angst schlotternden CDU-Protagonisten,
wie sie angesichts der schwindenden Wählergunst am runden Tisch sitzen und heftig debattieren, auf welche Weise man in
Hessen die Wähler am schönsten über den Tisch ziehen kann.
Und dann traten sie auf, ach, was sag ich, sie
erschienen vorm Rednerpult, unsere Bundeskanzlerin mit ihrem hessischen Bauernfänger,
im Gepäck die ultimative Diesel-Lösung. Angela trat ans Mikrofon und
verkündete: "Wir glauben, dass in der Regel Fahrverbote nicht
verhältnismäßig sind, wenn es sich um Grenzwertüberschreitungen von geringerem
Umfang, also bis zu 50 Mikrogramm pro Kubikmeter, handelt." Alle
Wetter, das nenne ich einen Wurf.
Unsere Angela, listig, wie sie ist, präsentierte dem
Publikum die eierlegende Wollmilchsau. Die Regierung werde die Grenzwerte
hinsichtlich der Konzentration von Stickstoffdioxyd in der Luft anheben, um
Fahrverbote in den belasteten Städten zu vermeiden. Wenn man einmal davon
absieht, dass Merkelsätze zumeist schwer verständlich sind, erfüllen sie auch
die Bedingung, dass nicht jeder Dödel auf der Straße versteht, worauf unsere
Kanzlerin eigentlich abzielt. Das erleichtert nicht nur das Regieren ungemein, sondern auch das vorsätzliche "Verladen" des Wahlvolkes.
Es scheint mir daher nötig zu sein, dem geneigten
Leser die Übersetzung ihres geistigen Auswurfs nachzuliefern. In Anbetracht der
bevorstehenden Hessenwahlen sollen also die gesetzlich festgelegten Grenzwerte an
die neuen Bedürfnisse der Automobil-Industrie angepasst werden, damit sich der Auto fahrende Bürger auf verhältnismäßig vertretbare und akzeptable Weise weiter vergiften
kann und die Anwohner adäquat an den Rußwolken partizipieren können. Dieser epochale Schachzug hat gleich mehrere Vorteile. Fahrverbote haben
sich damit erledigt. Der herkömmliche Dieselfahrer darf auch in Zukunft mit
gutem Gewissen und voller Dankbarkeit mit seiner Dreckschleuder in Frankfurts
Innenstadt fahren.
Aber das ist noch nicht alles. Auch die Vorstände der
Automobil-Konzerne müssen nicht mehr über ärgerliche Umrüstungen nachdenken und
dürfen überdies darauf hoffen, von deutschen Gerichten wegen betrügerischer
Angaben nicht mehr behelligt zu werden. Und endlich kann man die Hunderttausende
Dieselfahrzeuge, die bei den Gebrauchtwagenhändler dem Preissturz
anheimgefallen sind, mit guten Erträgen wiederverkaufen. Jetzt glaubt die
hessische CDU, wieder hoffnungsvoll auf den positiven Wahlausgang schielen zu
können, weil die bevorstehenden Fahrverbote bei der Wahl am Sonntag bis gestern
noch viele Stimmen hätten kosten können. Entsprechend dankbar hat
Ministerpräsident Volker Bouffier seine Kanzlerin angehimmelt. Hach, die
Welt ist wieder schön.
Wie sagte Herr Bouffier in semantisch-hoffnungsvollem
Timbre so griffig: „Ich werde alles tun, um das Fahrverbot zu verhindern.“ Ah
ja…! Das bereits angeordnete Fahrverbot für Frankfurt ist natürlich ein
sensibles Wahlkampfthema, schon deshalb, weil Zehntausende Pendler und
Dieselbesitzer im Großraum Frankfurt dort die Luft verpesten. Auf einmal, sechs
Tage vor der Hessenwahl, fällt es der CDU-Vorsitzenden Merkel ein, das geltende
Recht zu ändern.
Ich fürchte allerdings, die CDU hat die Rechnung ohne
den Wirt gemacht. Die gestrigen Wahlprognosen lassen die CDU erdrutschartig ins
Tal der Tränen abschmieren. Die Bürger sind erheblich weniger dämlich, als
Volker und Angela zu glauben scheinen. Nachdem die Autoindustrie jahrelang
getrickst hat, beteiligt sich nun Regierung am Wettbewerb, einerseits geschädigte
Autokäufer optimal zu bescheißen, andererseits den europäischen Gerichten die
lange Nase zeigen.
Doch so einfach wird die Sache nicht laufen. Die
Politik muss sich fragen lassen, warum sie einst verbindliche Abgaswerte
festgesetzt hat und heute nicht in der Lage ist, diese durchzusetzen. Die
Gerichte verhängten Fahrverbote, weil sie geltendes Recht auf nationaler und
europäischer Ebene umsetzen müssen. Was der BHA (Bundeshosenanzug) im stillen Kämmerlein des Kanzleramtes
jetzt beschlossen hat und nun als „ernst zu nehmendes Vorhaben“ in die Welt
setzt, ist für die EU am EuGH und den dort festgelegten Grenzwerten nicht
relevant.
Wieder einmal werden Versprechungen gemacht, deren
Umsetzbarkeit erst nach der Wahl offenbar wird. Ach ja, man kann sich immer
wieder darauf verlassen, dass Parteien alles tun, um dem Wähler das
Schlaraffenland vorzugaukeln und im Anschluss ein Martyrium zu liefern. Immerhin,
nicht nur Autohändler, Hersteller, Autobesitzer, sondern auch CDU-Minister
sehen nun der Zukunft mit glückseliger Miene entgegen. Angela wird sich am Sonntag die Augen reiben, sie wird dem politischen Schafott nicht entgehen.
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