An der nordöstlichen Küste Kalabriens, unweit ein der
der größten Hafenstädte Italiens liegt Palmi, ein kleiner Touristenort mit seiner
pittoresken Küste. Feinster Sandstrand, durchbrochen von schroffen
Felseninseln, die jeden Hobbyfotografen die Herzen höher schlagen lassen. Der
Anblick jener zerklüfteten Küste, der Geruch der Macchia, das Zirpen der
Zikaden befördern jeden Touristen in eine mediterran-romantisierte
Gefühlswelt. Hier bin ich Mensch, hier darf ist sein, aber eben nur als Tourist.
Seit mehr als einem Jahr liefen europaweit verdeckte
Ermittlungen, die nun in einer konzertierten Aktion zuschlugen. Hunderte von
Beamten, auf vom BKA haben dutzende von Wohnungen, Pizzerien, Restaurants,
Privathäuser und Firmen in Bayern, Nordrhein-Westfalen. Thüringen und Berlin
durchsucht. Knapp 90 Haftbefehle wurden europaweit vollstreckt, 65 Objekte durchsucht, und
einige Restaurants geschlossen. Die groß angelegte Aktion wurde im
Zusammenwirken der Europäischen Union (Eurojust) koordiniert. Selbst in Südamerika
gab es entsprechende Einsätze.
Die Mafia - mächtig wie ein Staat
Die Mafia sitzt in Deutschland fest im Sattel
Kaum jemand ahnt, dass die Region fest in der Hand der
am schnellsten wachsenden und gefährlichsten Verbrecherorganisation ist, die
`Ndrangheta. In Palmi regierte bis vor einer Woche die `Ndrina Gallico mit
ihrem Chef Filippo Morgante (48), der seit einem Jahr fieberhaft gesucht wurde.
Jetzt ging der „Quintino“, einer der ranghöchsten Führer der Organisation, den
Cacciatore – einer Spezialeinheit der Anitimafiapolizei, in Rom ins Netz. Bei
der internationalen Razzia in Deutschland, Italien, Belgien, Schweiz und den
Niederlanden versetzten die Polizeikräfte der `Ndrangheta ebenfalls einen
massiven Schlag, so die Polizei.
Bei der großangelegten Razzia gegen die italienische
Mafia hat die Polizei einen der mutmaßlichen Bosse in Nordrhein-Westfalen
verhaftet. Der 45 Jahre alte Gastwirt aus Pulheim sei am frühen Morgen in
Pulheim bei Köln von den Ermittlern aus dem Schlaf gerissen worden, sagte ein
Polizeisprecher am Mittwoch. Der Besitzer einer Osteria werde der
Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation beschuldigt, außerdem soll er massiv
an „Kokainhandel beteiligt sein“. Nun ja, immerhin haben sie bei ihm 40 Kilo Koks gefunden.
Razzien auch in Deutschland - wo der Boss Pizza backt
Insgesamt wurden 23 Objekte in Köln, Leverkusen,
Aachen, Ennepe-Ruhr-Kreis, Düren, Heinsberg, Rhein-Kreis Neuss,
Recklinghausen und dem Rhein-Erft-Kreis nach Beschuldigten und Beweismitteln
durchsucht. Darunter war nach GA-Informationen auch ein Betrieb in Wesseling. Des
Weiteren durchsuchten die Fahnder vier Objekte in Berlin, vier weitere in Gera
und Altenburg, zwei Objekte im belgischen Verviers und zwei Objekte in
Spanien (Mallorca), wie Polizei und Staatsanwaltschaft Köln in einer
gemeinsamen Mitteilung bekanntgaben.
Doch was in den Medien als bemerkenswerter Erfolg
verkauft wird, ist bei genauem Hinsehen, ein lächerlicher Schritt. Die großen
Clans der Strangio, Barbaro, Nirta, Pelle, Belloco oder Mammoliti haben halb
Europa im Griff, Behörden unterwandert, Netzwerke zu Firmen installiert,
hervorragende Verbindungen bis in höchste Regierungskreise, so dass sie zumeist
längst vorgewarnt sind, wenn Polizeiaktionen geplant oder durchgeführt werden.
Diese Klans verfügen über Milliardensummen, machen alleine im illegalen
Müllgeschäft mehr als 50 Milliarden Jahresumsatz und investieren ständig. Und
nichts kann sie davon abhalten, weiter zu wachsen.
Giovanni Strangio - der 6-fach Mörder von Duisburg |
`Ndrangheta - durchorganisiert bis zur Perfektion
Wie schwer es ist, diesen verschwiegenen
Organisationen wie die Cosa Nostra oder `Ndrangheta auf die Spur zu kommen,
hängt nicht nur vor ihrer Geschichte und ihrer Entwicklung zusammen, sondern
auch aufgrund der Tatsache, dass die Mitglieder nahezu alle blutsverwandt sind.
Die Basis der 'Ndrangheta sind die einzelnen 'ndrine, also Clans, die aus
den Mitgliedern einzelner Familien bestehen (die oft durch arrangierte Ehen
erweitert werden). Jede 'Ndrina hat ein klar abgegrenztes Territorium,
genannt „locale“ unter sich, das nicht immer genau mit
administrativen Zonen übereinstimmt: Es kommt vor, dass eine Stadt in mehreren
„locali“ aufgeteilt ist, oder dass mehre Städte zu einer Locale gehören. Die
Crimine steht über allen Locali, egal wo auf der Welt sie sich befinden, und
jeder muss sich ihren Befehlen bis aufs Letzte unterordnen.
Jede „Locale“ hat mindestens 49 Mitglieder und
untersteht einem capo locale, der auch als capo
bastone (oberster Stab) bezeichnet wird—nach dem Stab, den Schäfer
benutzen, um die Schafe zusammenzutreiben. Dieser organisiert die kriminellen
Aktivitäten seines Territoriums, beraumt Treffen ein, entscheidet über
Aufnahmen oder Beförderungen und löst Konflikte. Genau wie dem Capo Crimine in
der zentralen Führung der 'Ndrangheta, steht auch jedem Capo Locale ein Capo
Società zur Seite, eine Art Manager; ein mastro di giornata, der seine
Anweisungen an die Untergebenen weitergibt; und ein Contabile, der die
Einnahmen aus den illegalen Aktivitäten verwaltet, die auch
als valigetta (Aktenkoffer) bezeichnet werden.
Giovanni Tegano - Quintino (Boss) von Reggio Calabria |
Es klingt unwahrscheinlich, aber bis heute, während
ich den Artikel schreibe, treten junge Menschen kriminellen Organisationen
durch solche archaischen Rituale bei. Und nicht nur in Italien, sondern auf der
ganzen Welt. In der Nacht vom 15. August 2007 vollzog sich in Duisburg, mitten
im scheinbar so friedlichen Deutschland, der letzte Akt einer 16 Jahre
andauernden Fehde. Die Nirta-Strangio und die Pelle-Vottari—die zwei
mächtigsten Clans aus San Luca, dem kalabrischen Dorf, das als Hauptsitz der
'Ndrangheta gilt, lagen seit 1991 im Streit. Der Kalabrische Hafen Gioia Tauro
gilt als einer Hauptumschlagplätze der `Ndangheta und ich wage zu behaupten,
dass sich kaum einer der Arbeiter bis hin zur Verwaltung, Zollabfertiger oder
Leitungsebene der `Ndrangheta entgegenstellen würden. Hier wird das ganz große
Rad gedreht.
Und während bei den internationalen Razzien etwa 20
Personen verhaftet wurden, ist man sich im BKA intern darüber im
Klaren, dass der Einsatz dieser Organisation kaum einen entscheidenden Schlag
versetzt hat. Alleine in Deutschland gibt es mehr als 1200 Mitglieder. Schon
seit den siebziger Jahren hat sich die 'Ndrangheta in Deutschland festgesetzt.
Überwiegend leben die Mitglieder und Unterstützer der als wirtschaftlich
besonders potent geltenden Gruppierungen aus Kalabrien in Baden-Württemberg,
Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen.
Die Behörden stellten auch Mitte der neunziger Jahre
fest, dass nach der Wende einige 'Ndrangheta-Angehörige in den Raum Erfurt,
Leipzig und Dresden gezogen waren und dort Restaurants eröffnet hatten. 2011
zeigte sich eine leichte Bewegung in den Berliner Raum, wobei hier wohl vor
allem Lokale betrieben wurden, die Wohnsitze in Erfurt blieben bestehen.
Derzeit sind dem Bundeskriminalamt 283 mutmaßliche
Mitglieder der 'Ndrangheta in Deutschland bekannt. Bei den in Deutschland am
stärksten vertretenen Gruppierungen handelt es sich um die Clans
Romeo-Pelle-Vottari und Nirta-Strangio aus San Luca sowie Farao-Marincola aus
Cirò. Natürlich ist nicht jeder, der einen der betreffenden Nachnamen trägt,
ein Mitglied der Mafia. Das gilt auch für alle folgenden Mafia-Gruppierungen
und alle Clannamen. Die größten 'Ndrangheta-Clans in Deutschland sind derzeit
die Carelli, Critelli, Farao und Nirta. Auch hier zeigt sich, dass die Familien
den Westen und Süden Deutschlands bevorzugen. Die große Gemeinschaft dort
lebender unbescholtener Landsleute bietet den Kriminellen Deckung, aus Angst,
aus Verbundenheit oder auch aufgrund der finanziellen Vorteil wegen.
Just zum Zeitpunkt der Polizeiaktion führte man auch
Razzien in Sizilien durch. Auch hier kam es zu einer so genannten „bedeutsamen“
Verhaftung. Dutzende Mitglieder der Cosa Nostra wurden in Palermo festgenommen.
Unter anderem auch der neue „capo di capi“ Settimo Mineo und 45 Verdächtige aus
dessen nächsten Umfeld. Der 80-jährige Juwelier sollte den Platz des im
vergangenen Jahr gestorbenen Toto Riina an der Spitze der kriminellen
Organisation einnehmen und in der „Cupola“ mit weiteren Mitgliedern das
„Zepter“ übernehmen.
Was uns die offizielle Berichterstattung aber auch die
deutsche Presse als Top-Meldung verkauft und damit suggeriert, man habe damit
die Hydra der Mafia zerschlagen, ist schlicht ein Witz. Don Settimo Mineo wird
niemals im Gefängnis verrotten, wie sich das Innenminister Matteo Salvini
vorstellt. Mineo wird aufgrund der Gesetze in Italien aufgrund seines Alters
schlimmstenfalls zu Hausarrest verdonnert. Ab dem 75 Lebensjahr wird in Italien
niemand mehr auf Dauer eingesperrt.
Matteo Messina Denaro ist der wahre „capo di capi“ –
bekannt mit dem Spitznamen „Diabolo“ – Teufel. Der milliardenschwere Denora ist
seit 20 Jahren untergetaucht. Es gibt von ihm weder neue Fotos noch
authentische Bilder. Er gilt als der „legitime“ Nachfolger von Riina und
Provenzano. Don Settimo ist ein Bauernopfer, der von der tatsächlichen Dramatik
ablenken soll.
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