Schenkt man den Prognosen der wichtigsten Demoskopen Glauben, dürften die Bürger eine spannende Wahl erleben. Ganz sicher wird eines
der Highlights sein, mit welchen Argumenten die Chefs der Genossen aus 7 bis 8
Prozent Wählerstimmen den eigenen Untergang in eine Chance zur Wiedererstarkung der SPD umwidmen werden.
Die schöngeistige Formulierung der SPD klingt jetzt schon in
meinem Ohr wie Schalmeien auf einer Blumenwiese: „Unsere Partei hat einen guten Wahlkampf gemacht. Wir haben in den
sieben Landtagswahlen Thüringens heute das 7.beste Ergebnis unserer Geschichte erzielt.“ Aber das
kennen wir ja schon. Knapp 73% haben damals unsere Angela nicht gewählt, was
sie zum Anlass genommen hat, sich zur Wahlsiegerin zu erklären. So werden wir heute Abend ganz sicher auch den Satz hören: „Leider
hat in für uns schwierigen Zeiten der Wähler unsere insgesamt gute Politik
nicht honoriert." Mohring, sofern er zur Selbstkritik fähig ist, wird sich das Lachen verbeißen müssen, wenn er seiner Partei das Prädikat „insgesamt gut“ ausstellt.
Wenn man nun den sich anbahnenden Fruchtbarkeitstänzen
Parteien vor der Wahl zuschaut, kann einem bei den farbenfrohen Begattungsritualen
mulmig werden. Es ist geradezu unvermeidlich, dass es nach der Wahl jeder mit
jedem treiben wird. Das hat schon etwas von Swingerclub. Erinnern wir uns an
den Ausgang der Bundestagswahl – oder an einige Landtags-Koalitionen. Zuerst
Dreyer, nun auch Klingbeil: In der SPD zeigen sich immer mehr Politiker offen
für Rot-Rot-Grün im Bund. Einzig die Union warnt, obwohl in Thüringen bei etwas
Humor und guten Willen sogar eine „rot-rot-grün-gelb-schwarz-Regierung“ denkbar
werden könnte.
Gut möglich, dass sich die Grünen und die SPD ein
Kopf-an-Kopf-Rennen um die letzten Plätze liefern. Einzig Bodo Ramelow (Die
Linke) dürfte laut ZDF-Politbarometer vom Donnerstagabend die 26-Prozent-Marke
erreichen. Für den Spitzenkandidaten der CDU Mike Mohring dürften 24 Prozent
drin sein. Doch diesen Wert wird er nur aufgrund eines Mitleids-Bonus für sein öffentlich
zur Schau getragene Krebserkrankung und seine in den öffentlich-rechtlichen
Fernsehsendern publikumswirksam vorgetragenen Morddrohungen erreichen.
Ich will wahrlich nicht ketzerisch oder gar zynisch
sein, aber mit der Formel: „Ach, der arme Kerl ist krank und wird bedroht, dann
müssen wir ihn wählen…“ (weil er sich mit seinen Sturmhäubchen auf dem Kopf so
tapfer und kämpferisch zeigt.) Er irrt. Kein Mensch liebt Jammerlappen oder Krankheits-Exhibitionisten,
die mit einer zur Schau gestellten, heroischen Miene nach Zuspruch – sprich Wählerstimmen
plärren.
Auch wenn Mohring einen bemerkenswerten Endspurt in
Thüringen hinlegte und sich ganz nach bayerischem Vorbild in Bierzelten bei Blasmusik,
kostenlosem Knödel, Rotkraut und Bratensauce Wählerpotential zu erschließen suchte,
dürfte dieses Unterfangen nicht gelungen sein. Er hätte wissen müssen, dass der
herkömmliche Thüringer nichts mehr liebt, als ein ordentliches Stück Fleisch
auf dem Teller. Er mags eben deftig, der Thüringer. Die Knödel sind für ihn
eher Nebensache.
Man kriegt schon Pickel, wenn einem am SPD-Stand
glühende Sozialdemokraten auflauern, um einen Kugelschreiber oder einen roten
Luftballon oder eine Nelke in der Hoffnung verschenken, als Gegenleistung eine Stimme zu bekommen. Schlimmer noch, manche
verteilen Papierfähnchen und rote Papphütchen, auf dem das SPD-Logo weit
sichtbar zu sehen ist. Stolpert der potentielle Wähler versehentlich in eine
Gruppe Grüner Fanatiker, bekommt er Ausstechförmchen in Sonnenblumenform unter
die Nase gehalten. Schaut man genauer hin, entdeckt man den Aufdruck „Innen“. Dann
rotieren sogar beim schlichtesten Wähler die Synapsen und seine Lippen formen sich
zu „Sonnenbuminnenform“. Was sich Parteien bei solch idiotischen Aktionen
denken, weiß nur der Herr im Himmel.
Der Bürger ahnt, welche arithmetischen Handstände heute
Abend unternommen werden, um Ministerpfründe, Versorgungsleistungen und Ämter
zu verteidigen. Notfalls werden sämtliche Pseudo-Überzeugungen, die jede Partei
wie Monstranzen, schon der Gesichtswahrung wegen, vor sich hertragen und nach
dem Wahlergebnis der Not gehorchend über Bord werfen. In Thüringisch heißen Arbeitsplatz-Verlustängste
neuerdings demokratische Kompromisse. Ein hübscher Name für die spätere
Selbst-Legitimierung, die gleichzeitig als Alibi dient, mit Recht an den Schalthebeln
der Macht zu bleiben. Im Anschluss lässt man sich von eigenen Parteigenossen
beklatschen, weil‘s ja so schön aussieht. Ich wills mal so sagen...: Das Volk
heißt deshalb Volk, weil es so schön volkt...!
Überhaupt war der Wahlkampf von schrillen Tönen, Diskreditierungen
und Diffamierungen der AfD gekennzeichnet, die vermutlich so viele Stimmen einheimsen
dürfte, dass eine Regierungsbildung kaum möglich ist. Es wird wohl auf
eine Minderheitsregierung hinauslaufen. Die AfD hat es allerdings Mohring und
Ramelow denkbar leicht gemacht, zumal sich Björn Höcke ideal als Feindbild
eignet. Nicht auszudenken, wie sich das Wahlergebnis in Thüringen sich
darstellen könnte, hätte ein weniger belasteter Politiker als ausgerechnet Höcke
an der Front gestanden.
Dennoch, mit einer unterirdisch-beschämenden Rhetorik
wie die eines Bodo Ramelow, der Höcke semantisch mit Gaskammern, Judenmorde und
Konzentrationslager auf einer Ebene sieht, dürfte auch er sich keine Freunde
gemacht haben. Denn wer die eklatante Sprachverrohung in unserem Land beklagt, mit
dem Finger auf soziale Netzwerke deutet und „Hatespeech“ aufs Heftigste
verurteilt, sollte selbst mit besserem Beispiel vorangehen.
Druck erzeugt stets Gegendruck, das lernt jeder
unterbelichtete Schüler in der ersten Physikstunde. Doch zu solchen
Erkenntnissen sind offenkundig gerade Spitzenpolitiker, gleich welcher Couleur,
nicht fähig. Weder Polemik noch dümmlicher Populismus führen bei
reflektierenden Menschen zum Ziel. Damit kann man nur Idioten einfangen. Der Wähler darf gespannt sein, mit welchen selbstbeweihräuchernden
Gründen und Argumenten über Regierungskoalitionen nachgedacht wird, die kein
Wähler ernsthaft in Erwägung ziehen würde, und schon gar wollte.
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