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Endlich dürfen wir Deutsche wieder guten Gewissens denunzieren

Jetzt kommt es endlich: Das nagelneue Hinweisgeberschutzgesetz zur Förderung der unbeschwerten Denunziation in allen nur erdenklichen Lebensbereichen. Der Deutsche hat ja hinreichend Erfahrung mit atemberaubenden Begriffen aus der Welt der Beamten und der Ärmelschoner.  Klar jedoch ist: Je gewaltiger das Wortungetüm – desto gravierender die Folgen.

Nun ist die tief verwurzelte Tradition des deutschen Denunziantentums wahrlich nicht neu. Bürger in fortgeschrittenem Alter können sich noch gut an die Zeiten der NSDAP erinnern, in denen wissbegierige Funktionäre mit der Dienstbezeichnung Blockwart durchschnittlich 40 bis 60 Haushalte ausspionierten und terrorisierten. Bedauerlicherweise ist das informelle Berufsbild nach 1945 im Westen etwas aus der Mode gekommen, erfreute sich aber nichtsdestoweniger in der DDR großer Beliebtheit. Was in Sizilien schon wegen der Mafia, die auf Verrat sensibel reagiert, relativ verpönt ist, läuft hierzulande völlig anders.

Jetzt endlich erlebt auch dank unserer Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und der selbstlosen Initiative des Bundesjustizministers Marco Buschmann (FDP) der veraltete Terminus „Horch & Guck“ mit dem Gesetzentwurf und einer semantischen Aufwertung eine beispiellose Renaissance. Er soll nicht nur dem Schutzbedürfnis von Hobby-Spitzeln, Schlapphüten und ambitionierten Zuträgern neue Lebensperspektiven bescheren, sondern auch zum aktiven Anschwärzen und Verdächtigen fragwürdiger Mitmenschen motivieren. Immerhin hat das Ausspionieren der Nachbarschaft oder im Kollegenkreis am Arbeitsplatz seit dem Ende der braunen Zeitrechnung sehr an Beliebtheit verloren.

Doch nicht alles, was über die Jahre aus der Mode gekommen oder unpopulär geworden ist, muss für alle Zeiten in der Mottenkiste bleiben. Jetzt haben sich unsere Regierungsmitglieder wieder an die guten, alten Zeiten erinnert, als man noch kritische Bürger schon wegen des bloßen Verdachtes staatsgefährdender Umtriebe aus dem Verkehr ziehen konnte, bevor die Wahrheit ans Licht kam. Geradezu beispielhaft dürfen wir das Engagement von Nancy Faeser hervorheben, die eine Beweislastumkehr als schöne Weiterentwicklung unserer Gesetzestexte anstrebt.

Bislang, so die Argumentation unseres Herrn Buschmann, führen Angst vor Repressalien wie Kündigung, Abmahnung, Versagung einer Beförderung, Disziplinarverfahren oder Mobbing dazu, dass sich potenzielle Hinweisgeber bislang häufig zurückhalten. Dieses neue Gesetzesvorhaben wird ganz sicher dazu führen, dass sich auch Querdenker, Aluhutträger und visionäre Verschwörungsschwurbler an behördlich genehmigte Denkvorgaben unserer Staatslenker orientieren können. Das gibt selbst dem hinterfotzigsten Zuträger das gute Gefühl des aufrechten und wertvollen Bürgers, der alles richtig gemacht hat.

In seinem neuesten Interview führte der Bundesjustizminister aus: „Beschäftigte in Unternehmen und Behörden nehmen Missstände oftmals als Erste wahr und können durch ihre Hinweise dafür sorgen, dass Rechtsverstöße und auch falsche Meinungen oder unberechtigte Kritik aufgedeckt, untersucht, verfolgt und unterbunden werden.“ Damit übernähmen ambitionierte Denunzianten und Zuträger Verantwortung für die Gesellschaft und verdienten daher Schutz vor Benachteiligungen.   

Im Gesetzentwurf, den das Kabinett Ende Juli beschlossen hatte, heißt es: Der Schutz von Whistleblowern sei bislang „lückenhaft und unzureichend“.  Wie notwendig ein solches Gesetz sein kann, zeigt sich am Beispiel Julian Assange, der in den Jahren 2010 und 2011, der in Wikileaks mit Geheimdokumenten der US-Regierung Kriegsverbrechen der amerikanischen Armee belegte und deshalb als Staatsfeind Nummer nachhaltig verfolgt werden konnte.

Immerhin hat Assange mit seinen Dokumentationen auch integre US-Politiker in Erklärungsnöte gebracht und das Vertrauen in die amerikanische Politik erschüttert. Auch deshalb streben die US-Regierung und die Justiz an, Julian Assange in lebenslange "Schutzhaft" zu nehmen, um Nachteile für US-Politiker mit einwandfreier Reputation nicht nur zu vermeiden, sondern auch ihre Alterspensionen zu sichern.

Nancy Faeser und Marco Buschmann sehen in dem neuen Gesetz vor, dass auch dann, wenn Gefahr im Verzug ist oder irreversible Schäden drohen, Hinweisgeber die Straftaten oder Missstände direkt öffentlich machen. Das gilt selbstverständlich nicht für Ereignisse, die sich beispielsweise wie in der Ostsee ereignet haben. Straftaten oder Angriffe auf unser Grundgesetz bleiben unseren politischen Akteuren vorbehalten und unterliegen ebenfalls einem besonderen Schutz

In solchen Fällen hat das Staatswohl den Vorrang. Zwar ermittelt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wegen eines „schweren gewalttätigen Sabotage-Angriffs auf die Energieversorgung“. Offenbar gibt es aber auch knapp drei Wochen nach den Explosionen noch keine näheren Erkenntnisse dazu, ja noch nicht einmal Untersuchungen vor Ort. Das teilte das Wirtschaftsministerium der Linke-Abgeordneten auf ihre schriftliche Anfrage mit. Wagenknecht hatte wissen wollen, welche Erkenntnisse die Bundesregierung zu diesen Vorfällen inzwischen hat.

Hier wie in den USA erweist sich eine Denunziationschutzgesetz lückenhaft, zumal bei solchen Ereignissen weder Blockwarte noch Wistleblower den vorgesehenen Schutz erfahren dürften, sollte sie mit Verdächtigungen in Richtung Politiker unangenehm auffallen. Die Bundesregierung, so der Sprecher, sei „nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss gekommen, dass Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht in eingestufter Form abgegeben werden.

„Die von Frau Wagenknecht erbetenen Informationen berühren derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass das Staatswohl gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht überwiegt und das Fragerecht der Abgeordneten ausnahmsweise gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen muss.“ Im Klartext: Es gibt vermutlich Erkenntnisse, die die Bundestagsabgeordneten aber nicht erfahren dürfen. Wie mir scheint, muss am Schutzgesetz für das wieder auferstandene Berufsbild des Blockwartes noch ein wenig nachgearbeitet werden. Denn es gilt nach wie vor: Quod licet iovi, non licet bovi.

                                     

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