Jesus sagte provokativ: „Wenn dich einer auf die linke
Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin“ (Matthäus 5,39). In letzter
Zeit habe ich das Gefühl, dass die Christliche Kirche dieses Zitat allzu
wörtlich nimmt.
Wenn sich schon die Politik in den letzten beiden Jahren
bei der Flüchtlingsfrage in bemerkenswerter Weise bei der Spaltung seiner
Bürger hervorgetan hat, so kann man mit Fug und Recht behaupten, dass die Kirchen
unter maximaler Verdrängung tatsächlicher Geschehnisse, der politischen
Zerrissenheit den perfekten Feinschliff verpassen. Man muss nicht sehr helle
sein, um zu begreifen, dass unsere politischen Parteien mit dem christlichen
Kürzel im Logo deshalb auch auf jene Wählerschaften bauen können, die der
Kirche besonders verbunden sind. In diesem Kontext dürfen unsere Politiker von
Glück reden, dass in der muslimischen Welt keine politischen Parteien mit dem Kürzel
„Allah“ existieren.
Das jüngste Zitat von Erzbischof Rainer Maria Kardinal
Woelki im „Domradio.de“ lässt keinen Zweifel, welche Parteimitglieder besonders
gemeint waren: "Ich war fremd und ihr habt mir Heimat gegeben, dieses Wort
Jesu bleibt weiter aktuell. Auch hier bei uns. Und ich bin dankbar, dass unsere
'Aktion Neue Nachbarn' in Köln so wunderbar läuft, dass die vielen Menschen,
die sich da engagieren auch weiterhin Kraft und Mut und Ausdauer haben, diesen
Marathonlauf zu machen und dass wir nach der Begrüßung, also der
Willkommenskultur, in eine Integrationskultur übergegangen sind."
Integrationskultur? Welche, wenn ich fragen darf? Die, der Kirche etwa? Oder
die, unseres Staates?
Bei allem Respekt, mir scheint, Kardinal Woelki lebt auf
einem fernen Planeten, auf dem andere Verhältnisse herrschen. Wahrscheinlich
weilte er auch dort, als auf der Kölner Domplatte jene willkommen geheißenen
Gäste zur wilden Hatz auf Frauen bliesen. Schwamm drüber, Schnee von gestern,
könnte man sagen. Dem ist aber nicht so. Wenn der Kardinal heute öffentlich
sagt, ich zitiere: „Als die Fremden ankamen, häuften sich die Nachrichten von
Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte, dann treibt er die eigene Weltfremdheit einseitig auf die Spitze. So bemerkte er im Domradio weiter: "Andererseits gerieten
immer wieder Männer, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen waren, unter
Terrorismusverdacht; Populisten gehen schon lange mit Stimmungsmache gegen
Flüchtlinge auf Wählerfang und instrumentalisieren Beispiele wie das des Weihnachtsmarktattentäters
Anis Amri für ihre Zwecke.“
Na gut, denke ich mir, ein Kardinal, meinetwegen auch ein
Christ, darf und soll sich gerne darüber Gedanken machen, mit welcher
humanitären und auch christlichen Einstellung er Flüchtlingen begegnet. Doch
gerade Woelki sollte allmählich die Gewaltenteilung zwischen Staat und Kirche
zur Kenntnis genommen haben. Gerade in dieser sensiblen Frage, die einen Staat
an den Rand der Zerreißprobe treibt, halte ich solche Verlautbarungen für
geeignet, den Keil noch tiefer zwischen die Bürger zu treiben. Glaube,
Unbedarftheit und Leichtsinn scheinen mir bei solchen Formulierungen in einen
humanitären Einheitsbrei vermengt zu werden. Der Schritt vom Glauben zur
Bigotterie ist ein schmaler Grat, der sich häufig genug in
christlich-militantem Humanismus gegenüber Migranten und Flüchtlingen zeigt,
weniger den betroffenen Frauen auf der Domplatte, beispielsweise.
Für religiöse Menschen haben die Werte ihres Glaubens eine
höhere Wertigkeit als nicht-religiös definierte Werte. Immer noch, und das darf
nicht unterschätzt werden. Gläubige Christen verstehen ihre Gebote als Gesetze.
Kollidieren diese mit den geltenden Gesetzen, stellen sie ihre Regeln oft genug
über das weltliche Recht. Klar, denn Gesetze sind nur von Menschen gemacht und
können sich ändern, allerdings scheinen gerade jene Kirchgänger vergessen zu
haben, dass der Glaube - davon gehen Gläubige aus - auf den Gesetzen von Gott
oder Göttern basiert.
Viele Religionen begegnen Menschen, die ihnen nicht folgen,
mit Geringschätzung. Andersgläubige oder - fast noch schlimmer - Atheisten
gelten als Irrgläubige, sogar als minderwertig oder als Feind. Man unterstellt
ihnen Mangel an Moral und Werten. Implizit unterstellt Woelki mit seinen
Mahnungen amoralisches und unethisches Verhalten, die sich gegen Eindringlinge
jedweder Art stellen. Auch einem Kardinal stehen Einmischungen in prekäre,
gesellschaftspolitische Fragen, mit denen er ein ganzes Volk in eine weitere
Zerrissenheit lenkt, nur bedingt, eigentlich sogar überhaupt nicht zu.
Religion wirkt auf die, die nicht dazugehören, ausgrenzend
und diskriminierend. Auch im Christentum, gar keine Frage. Besonders in unserem
Land sind Nicht- und Andersgläubige häufig genug Leidtragende religiös
definierter "Gesetze", denen sie eigentlich gar nicht unterstehen.
Viel schwerer wiegen alltägliche Diskriminierungen, zum Beispiel im Arbeitsleben.
Kirchen gehören zu den größten Arbeitgebern des Landes, von ihren Angestellten
verlangen sie eine religionskonforme Lebensweise. Das ist zu rechtfertigen,
wenn es um kirchliche, mit der "Verkündigung" verbundene Ämter und
Funktionen geht, nicht aber in unserer Realpolitik, in der ein Kardinal die
Zerrissenheit mit weltfremden Argumentationen auch noch befeuert.
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