Reden, ohne etwas zu sagen oder antworten, ohne zu wissen, über was man eigentlich redet, ist eine Kunst, die geübt werden muss. Es gibt keine Berufsgruppe, die substanzlose Botschaften besser beherrschen als Politiker.
Ja,
man kann sogar sagen. Je höher ein Mitglied in der Parteihierarchie steht,
desto schlichter seine Botschaften, die er mindestens einmal täglich von sich
gibt. Beispiel: „Wir gestalten Deutschlands Zukunft, das steht auch so im
Koalitionsvertrag. Aber wir wollen Europa gestalten, das unterscheidet uns von
den anderen.“
Mit einem solchen Satz hat ein Politiker seinen verbalen Auswurf sozusagen in Granit gemeißelt. Damit ist alles gesagt. Widerspruch, egal von wem, kommt einem Sakrileg gleich. Am besten funktionieren bedrohliche Manifeste wie R-Werte, Inzidenzen, Sterblichkeitsraten oder Immunisierung, indem man sie permanent wiederholt und sie bildhaft mit dramatischen Fernsehsequenzen untermauert.
Schön ist auch dieser Satz, den jeder Bürger kennt: „Meine Damen und Herren, wir brauchen substanzielle Reformen zur Stabilisierung der Eurozone, nicht nur weil wir der größte Garantiegeber sind, sondern weil der Euro eine identitätsstiftende Wirkung hat.“ Mein lieber Scholli. Das sind Statements, die haben das Zeug, sogar 3000 Jahre alte, ägyptische Inschriften auf den Pharaonengräbern zu überdauern.
Ein wirksames Agitationsmodell ist auch, nach einer politischen Behauptung so genannte Experten aufzubieten, die keiner kennt, keiner kennen will, und schon gar niemand nachfragt, wer die Nase auf der Mattscheibe eigentlich ist. Ideal ist es, wenn nicht einmal die Redaktion der Fernsehanstalt genau weiß, was diesen Fach-Guru nun als Experten ausweist. Bestätigt wird der telegen verbreitete Stuss vom jeweiligen Parteipolitiker mit den Worten: „Wir haben schon immer gesagt“…., „schon immer davor gewarnt“, oder „wir sind davon überzeugt…“ Wer, wen, wann mit welchen Fakten überzeugt hat, spielt keine Rolle, es klingt aber informiert, weitsichtig und verleiht dem Politiker den Nimbus des Besserwissenden.
„Wir stehen vor großen Aufgaben im Land und vor großen Aufgaben in der Welt.“ Man kann förmlich beobachten, wie bei einem solchen Statement die Bedeutung eines Politikers ins Unermessliche anwächst. „Franz Josef Strauß hat einmal gesagt: Dankbar rückwärts, mutig vorwärts, gläubig aufwärts.“ Der Satz könnte genauso gut über dem Eingang des Vatikanpalastes, dem Flughafen in Berlin oder auf einem Grabstein stehen. Passt immer.
Und Jens, der Spahn, das ist auch so einer, der sich andauernd nebulös äußert. Sein Lieblingssatzbeginn: Zunächst einmal… –– also, wenn jemand eine Frage stellt. Es ist sozusagen die implizite Belehrungs- oder Aufklärungsform. Sie unterstellt dem Gegenüber, dass er selbst vorher nachgedacht hat, bevor die Frage gestellt wurde. Denn der Sachverhalt ist für einen herkömmlichen Interviewer ohnehin viel zu kompliziert. Beispiel: „Herr Spahn, können sie mir die Zeit sagen? Antwort: „Zunächst einmal müssen wir dankbar sein, dass vor ein paar hundert Jahren die Uhr erfunden wurde, die es uns jetzt ermöglicht, auf dem Zifferblatt abzulesen, in welcher Stellung der große und der kleine Zeiger steht ….“ Jens Spahn käme einfach nie auf die Idee, einfach halb Zwölf zu antworten.
Und dann greift er irgendeinen Gedanken auf, der mit der Frage entweder nichts zu tun hat oder den Fragesteller in die Defensive drängen soll. Beispiel. „Weshalb haben wir nicht genug Impfstoff, wenn doch in allen anderen Ländern bereits wahre Impforgien stattfinden? Antwort: „Zunächst einmal sollten wir dankbar sein. Noch nie haben wir einen Impfstoff in einer solch kurzen Zeit entwickelt, für den man normalerweise bla… bla… bla…“
Gleich darauf folgt die geschickt formulierte Zurechtweisung, die dem Interviewer klar macht, dass er dämlich ist und betont: „Unser Vorgehen ist stets durchdacht und verantwortungsvoll: „Genauigkeit vor Schnelligkeit.“ Jawoll…, genau das wollten wir hören. Es rückt die Dinge zurecht, weil wir Bürger schließlich nicht mit irgendetwas geimpft werden wollen, zumal wir ja auch Sicherheit brauchen.
Hakt der Journalist nach und kritisiert die zögerlichen Lieferungen, erhält er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit folgende Antwort: „Wir sind gut aufgestellt. Jeder Schritt - von der Produktion bis zur Auslieferung ist transparent und nachvollziehbar.“ Aha…! So ist das also. „Und wann kommt der Schrott endlich bei uns an, fragt sich nicht nur der Bürger vor dem Fernseher?“ Auch diese Antwort überrascht niemanden, zumal wir ja auch nichts anderes hören wollen.
„Wir sind auf einem guten Weg. Im dritten Quartal dürften wir jedem Bürger ein Angebot gemacht haben.“ Dennoch, unsereiner ist ja skeptisch, vor allem bei nebulösen Konjunktiven und Begriffen, mit denen wir einen Politiker nicht festnageln können. Überhaupt sind in politischen Botschaften Ankündigungen, Prognosen und Konjunktive unverzichtbar und geben uns Hoffnung, dass irgendetwas passiert.
Wenn der Journalist jetzt noch ein einziges Mal weiterbohrt, wird’s ernst: „Wer mich kennt, der weiß, dass ich nicht leichtfertig mit solch wichtigen Herausforderungen umgehe … Eine der schlimmsten Maschen von politischen Berufsschwätzern. Mit anderen Worten, „wer mich nicht kennt, weiß gar nichts.“ Es ist die höchste Form der Herablassung, denn wir am Fernseher kennen den Jens ja nur vom Sehen. Deshalb sind wir per se verblödet. Und dennoch, wir, die aufmerksamen Zuschauer, … wir, die ihm zuhören, sind durch sein Statement beruhigt und können uns sagen: Da haben wir ja noch einmal Glück gehabt, der Jens ist also doch keine Arschgeige.
Joachim Herrmann. Der Innenminister von Bayern nannte Roberto Blanco einmal vor laufenden Kameras einen »wunderbaren Neger«. Aus so einer Geschichte kommt man sachlich nicht mehr raus. Darauf angesprochen, sagte der CSU-Politiker: »Roberto Blanco hat mir das übrigens gar nicht übelgenommen, er hat mein Zitat richtig verstanden. Wer mich kennt, weiß, dass ich gegen jede Form von Diskriminierung bin.« Mit diesem semantischen Kunstkniff führt er nicht nur unbeteiligte Freunde als Zeugen der eigenen Unschuld auf, nein, – er bezieht auch das nicht anwesende Opfer in den Kreis derer ein, die ihn richtig verstanden haben. Alle anderen, einschließlich Kritiker sind eben blöd.
Zu den beliebtesten Termini der politischen Einlassung zählen derzeit Transparenz, Reformstau oder auch Zukunft gestalten. Es gibt kaum etwas Wichtigeres für einen Politiker, als „Verantwortung, Augenmaß und Leidenschaft“ zu simulieren. Wer einen Blick auf Karl Lauterbach wirft, weiß, was ich meine.
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