Heute, am ersten Mai, will ichs mal weitgehend unpolitisch sagen: Welt-Kuss-Tag - welch ein schöner Anlass, ein paar Worte darüber zu verlieren. Gott seis gedankt, wenn der Kuss einen Ehrentag bekommen hat, immerhin glauben die meisten Menschen, dass so ein Kuss die zweitschönste Nebensache der Welt sei.
Ich würde eher sagen. Ein Kuss ist ein vielschichtiges und nicht immer langfristig verwertbares Lippenbekenntnis, wobei der Kuss oft genug Anlass gibt, darüber nachzudenken, weshalb man ihn eigentlich bekommen hat. Ich gebe zu bedenken, ein Kuss ist auch nicht immer Ausdruck von Liebe und erregender Zuneigung. Selbst wenn er von jäher Leidenschaft erfassten Damen als ultimative Liebesbezeugung zelebriert wird, als gäbe es kein morgen mehr, lauern im Anschluss allerei Gefahren.
In Wirklichkeit ist so ein Kuss eine komplizierte Sache, weil man zunächst klären muss, von wem, wann, wie oft und weshalb man eigentlich geküsst werden will. Und wie kompliziert die Sache mit dem Kuss ist, wird einem erst klar, wenn man die eventuellen Folgen ausbaden muss.
Es gibt ein ganzes Kaleidoskop von Küssen. Bruderküsse, mütterliche Küsse, Küsse von Omas, von Opas, Tanten und Onkeln, Begrüßungsküsse und Abschiedsküsse. Es gibt Internetküsse, Handküsse, Küsse aus Liebe, trockene, feuchte, eklig nasse und auch distanzierte. Natürlich auch die unanständigen Küsse, auf die ich diskretionshalber nicht näher eingehen will. Nur so viel, bei Letzteren gibt es auch noch jede Menge Untergruppen. Freche, feuchte, erregende, frivole, unverschämte, einfühlsame, temperamentvolle oder gar aufreizende, nur um nur einige zu nennen. Allesamt ganz wundervoll.
Selbst Hundeküsse können ganz bezaubernd, in manchen Fällen sogar unvergesslich sein, vor allem, wenn man von einem 80-Kilo-Bernhardiner oder von einer deutschen Dogge im Wohnzimmer überfallartig niedergerungen und geknutscht wird. Damit will ich nicht sagen, dass Malteser, Yoskshire und Möpse nicht auch sehr temepramentvoll küssen könnten und ihre Besitzer so sehr lieben, dass sie sie schon morgens um 20 Minuten vor sieben an der Bettkante auf der Lauer liegen, um zu küssen. Einen Vorteil haben die Kleinen. Man kann man sich ihnen im Notfall noch erwehren.
Gewiss, gewiss, das mag eine Hundehasserin nicht als
übermäßig prickelnd empfinden, dennoch eine Hundezunge hat immer etwas
Beglückendes, auch um 6 Uhr morgens. Man weiß, man wird geliebt, was man von einer Frau nicht immer
behaupten kann, auch wenn man ihr in der Frühe den Kaffee ans Bett bringt.
Wollen wir doch einmal ehrlich sein und feststellen: herkömmliche Beziehungsküsse entwickeln sich reziprok proportional zur Kochkunst der Beglückten und werden seltener, während die Küche im gleichen Zeitraum an Qualität und Quantität zunimmt. Damit will ich sagen, dass sich nach einer Langzeitbeziehung von mehr als 5 Jahren liebevolle Annäherungen in Form von Küssen mehr in Richtung verführerische Düften und üppige Mahlzeiten verlagern. Wie sagt das geflügelte Wort so treffend? Liebe geht durch den Magen, da können Heinrich Heine und Joseph von Eichendorff so viel dichten wie sie wollen.
Allerdings
kann ein Kuss durchaus auch dramatische Folgen haben. Bekommst du einen Kuss
von einer Frau, führt das in den schlimmsten Fällen zur Eheschließung, bekommst
du einen Kuss von einem Mafioso, lebst du vermutlich nicht mehr lange, um
einmal die Extreme zu nennen. Wie man sieht, sollte man auch bei der Auswahl
des oder der zu Küssenden genau überlegen.
Selbst politische Küsse, wie sie bei den Genossen gepflegt werden, können ernsthafte Auswirkungen haben, wie damals bei Gorbatschow und Honecker. Diese roten Kommunistenküsse haben sich bis in die heutige Zeit gehalten und sind sogar in unserer SPD durchaus noch üblich. Damals führte der Honnecker-Kuss zur Vereinigung von Ost- und Westdeutschland, was weitreichende Folgen hatte, wie wir heute wissen. Wenn ein verdienter Genosse heute bei wichtigen Auftritten oder großen Veranstaltungen von einem Parteigenossen medienwirksam geküsst wird, weiß er, dass sein eigenes Schicksal besiegelt ist.
Wie
Sie sehen, ist so ein Kuss nicht immer zwingend Ausdruck von Zuneigung,
Intimität und Nähe. Er dient oft auch einem Zweck, den Feind in Sicherheit zu wiegen. Sehen Sie, in der heutigen
Zeit – das ist zumindest meine Erfahrung, küssen immer mehr Frauen Frösche und
lassen die Prinzen links liegen. Das wiederum liegt daran, dass für Damen die Auswahl lohnenswerter Kussopfer sich in letzter Zeit dezimiert hat, weil sie sich nicht sicher sein können, ob der jeweilige Kerl auch tatsächlich ein richtiger Kerl ist und eine Fortsetzungsperspektive bietet.
Ich gebe zu, es gibt natürlich auch märchenhafte Küsse. Filmküsse zum Beispiel. Der berühmteste in dieser Kategorie war im Film „Vom Winde verweht“ zu sehen. Allerdings soll der auch nicht so prickelnd gewesen sein. Clark Gable hatte bekanntlich starken Mundgeruch. Scarlett O’Hara alias Vivian Leigh soll angeblich eine außervertragliche Überwindungszulage erhalten haben.
Auch
wenn die Zeitschrift STERN behauptet, man möge mehr küssen, weil das der
Gesundheit dient, gebe ich zu bedenken, dass ich nicht nur bereits im
fortgeschrittenen Alter bin, sondern auch anspruchsvoller. Damit fallen
zumindest alle langweiligen, ermüdenden, hausbackenen, trostlosen und
ereignislosen Küsse ersatzlos weg, obwohl grundsätzlich Küsse
gesundheitsfördernd sein sollen. Ob die feuchten Schlabberküsse meines Hundes von
Karl Lauterbach oder dem RKI empfohlen würden, wage ich zu bezweifeln. Nichtsdestoweniger
kann man ihnen nur schwer entgehen, , weil Hundezungen die Reaktionsfähigkeit des Besitzers bei weitem übertreffen.
Natürlich
kann ich so einem Kuss auch sehr Positives abgewinnen. So ein Kuss
von einem Enkelkind…, das hat was … das sind die ganz und gar unschuldigen
Küsse...! So ganz ohne Motiv und Hintergedanken und die kleinen Glücksmomente
eines alten Mannes, der den letzten, den kalten Kuss in absehbarer Zeit
erwarten darf. Nun ja, alles muss eben auch einmal ein Ende haben, auch diese andauernde Küsserei, bei der man immer mit dem Schlimmsten rechnen muss.
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