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Invasion in Italien – Hilfe, die Deutschen kommen

Es ist ja nicht so, dass nur Deutschland mit Flüchtlingen, Migranten und unliebsamen Besuchern kämpfen muss. Kürzlich titelte der Corriere della Sera: „Italien kämpft nach Corona gegen die Pest mit Bierbauch“.

Deutsche Urlauber, die noch vor drei Jahren über die bis dahin dämmernden Badeorte herfielen wie einst die Hunnen über das Römische Reich, sie beten nun, dass nach den pandemischen Heimsuchungen die blassen Hunnen aus Gelsenkirchen, Bottrop und Wanne-Eikel in alter Frische wiederkommen mögen. Nun ja, allmählich steigen wieder die Buchungen in den Hotels. Wir dürfen uns auf die Gäste freuen, die ich von der Terrasse meines Cousins, der in den "Colline" Liguriens lebt, in den Ortskern strömen sehe.

Nun leben meine Verwandten nicht an einem der überfüllten Badestrände von Rimini, Grado oder Caorle, sondern in einem der unzugänglichen Hänge des Cinque Terre. Ligurien. Der Landstrich ist eine Enklave für reisende Individualisten mit Fachabitur, die Dörfer Manarola, Vernazza oder Monterosso, sie sind Ziele für Studiosus-Reisende, ökologisch geschulte Entdecker und Insider aus Ruhrgebietsmetropolen oder aus Mecklenburg-Vorpommern. Doch sollten sie sich Ligurien als Badeziel auserkoren haben, gibt es zuweilen lange Gesichter. Sandige Buchten, verträumte Strände und kilometerlange Promenaden? Fehlanzeige!

Tangaschönheiten oder barbusige Blondinen, Stringtangas und von sengender Sonne knusprig getoastete Hinterteile sind die Ausnahme. Stattdessen Steilwände, senkrecht abfallende Felsstürze und Dörfer, die der Herrgott bei seinem Besuch in Italien versehentlich vom Himmel hat fallen lassen und die sich nun wie Schwalbennester ins Gestein krallen. Cinque Terre wird zumeist von Authentizitätsfanatikern heimgesucht. Sie kommen Schiffsweise von Livorno – sechs Monate lang täglich, im Dreißig-Minuten-Takt. Auch sonntags. Denn Autos mit fremden Kennzeichen sind hier untersagt.

Und dann fallen sie über die Dörfer her. Zahlende Schierlingsbecher in Kohorten-Stärke! Allerdings, um es offen auszusprechen: Die Einheimischen nehmen nur das Geld, den Schierling dürfen die Deutschen behalten, dafür sind sie prädestiniert. Deshalb liegen die ligurischen Italiener auf jeder Lauer, die sich ihnen bietet, zumal sie Touristen aus dem Norden mit Euro bewaffneten Besatzern gleichsetzen. Glücklicherweise haben Inflation und Energiepreise dazu geführt, dass die meisten spätestens nach 14 Tagen unser Land wieder verlassen. Doch zurück nach Vernazza und dem Schiffsverkehr.

Aber bei all den vielen freundlichen und spendablen Touristen gibt es natürlich auch eine hartgesottene Spezies, die wir Italiener besonders lieben. Beispielsweise Typen wie Helge, ein romanophiler Berufsschullehrer mit aufgestecktem Dutt, und dem Hang zum Typischen und Unverfälschten. Er kennt Italien besser als jeder Italiener, zumal er seinen Reiseführer sowie die komplementäre Begleitliteratur für seine Exkursionen mit einem gelben Marker bis ins Detail durchgearbeitet hat. Als Lateiner fürchtet er nicht einmal regionale Dialekte. Selbstredend hat er „den kleinen Sprachführer“ dabei – für Notfälle – falls der Fischer aus Monterosso beim Plusquamperfekt Konjunktiv des unregelmäßigen Verbs „audire“ verwirrt den Kopf schüttelt.

Helge ist stets auf der Suche nach dem finalen Original, nach dem unberührten Ort, wo der Einheimische noch völlig unbefingert von fremder Neugierde arbeitet, wohnt, lebt und liebt, wie er es seit ein paar Tausend Jahren tut. Schon aus diesem Grund haben sich meine Verwandten zwei bissige Rottweiler angeschafft und einen drei Meter hohen Elektrozaun ums Grundstück gezogen. Helge kennt zwar nicht das unwegsame Sträßchen zum Haus meines Cousins, aber dafür – und das bereits schon vor seiner Ankunft, die örtlichen Sitten und Gebräuche der Region genauer als wir Einheimischen.

Er weiß auch, wie sich die lokalen, politischen und wirtschaftlichen Probleme des unzugänglichen Landstrichs am perfektesten lösen lassen. In Sachen Kochrezepte der regionalen Küche und der Beurteilung heimischer Weine übertrumpft er sogar Mama Rosetta aus Manarola, die dort eine kleine aber feine Trattoria betreibt. Helge findet alles, weiß alles, kann alles und liebt es, uns, der italienischen Urbevölkerung, Ratschläge zu erteilen! Er durchstreift selbst die einsamsten Winkel seines Urlaubsgebietes, kehrt in Locandas ein, in denen nicht einmal mein Hund essen würde und gibt Urlaubern Tipps, die sie gar nicht hören wollen.

Er ist der typische Alleinreisende, sitzt wie alle anderen genussfreudigen Urlauber in einem der zahlreichen Cafés. Im schwäbisch gefärbtem italienisch ordert er selbstsicher: „Brego..., henn Se au`n Latte Madschado. I däd dazu au no ä Corneddole näma.“ Seine sprachliche Überlegenheit gibt ihm ein gutes Gefühl, er belächelt mit süffisantem Lächeln die in Scharen vorbeiziehenden Landsleute und beißt herzhaft in sein Blätterteighörnchen. Im Anschluss dreht er sich eine Zigarette aus heimischer Produktion und beobachtet mit dem Habitus eines echten Insiders das bunte Treiben.

Im rhythmischen Takt pendelnder Ausflugsschiffe wälzen sich gewaltige Wogen verschwitzter Leiber durch die engen Gassen von Vernazza, reißen alles nieder, was nicht gemauert, verdübelt, verschraubt oder angeschweißt ist, um nach einer halbstündigen Stadtdurchflutung in die Bestuhlung der Cafés an der Piazza zu schwappen. Es verbleiben den schwitzenden Teutonen knappe zehn Minuten, um eine Cola für Sechs Euro fuffzich hinunter zu stürzen und sich dann in die endlose Warteschlange an der Hafenmole wieder einzureihen.

Kurz bevor sich Helge einschiffen will, um uns endlich wieder zu verlassen, findet er Dank seiner untrüglichen Spürnase in einer düsteren Seitengasse einen unscheinbaren Kellerladen mit grellbunt bemalten Tonschälchen. Allerdings war ihm entgangen, dass kurz zuvor eine Splittergruppe mit Jutetaschen versehener Birkenstockträgerinnen die Bude restlos gefleddert hatte. Ein unscheinbarer Teller, handbemalt und in krakeliger Schrift vom Künstler persönlich signiert, lehnt in einer düsteren Fensternische. Zweifellos ein vergessenes Kleinod aus dem frühen 18.ten Jahrhundert. Er kauft, zahlt freudig einen unverschämten Preis für das einzigartige Exemplar südländischer Handwerkskunst.

Das Lächeln des mit allen Wassern gewaschenen schwäbischen „Insiders“ umspielt seine Lippen, als er die Rarität souverän in seiner Tasche verstaut, während Salvatore Moneti, gleich, nachdem Helge die düstere Tonschalenkatakombe verlassen hatte, für die nächste Ladung entdeckungshungriger Urlauber eifrig die Bestände mit „echt“ antiken Schalen und Vasen auffüllt.

Helge hat keinen Bierbauch, in diesem Punkt widerspreche ich dem Corriere. Er ist ein ruhiger und verträglicher Zeitgenosse, mit fundierter Halbbildung und gut informiert. Trotzdem regt er sich über das Coperto auf, weil er in einer vermeintlich preiswerten Osteria an einem blanken Holztisch Spaghetti al’ Olio und ein „Minerale“ für 29 Euro berappen muss. Geschickt lässt er Besteck, Zahnstocher und Salzstreuer in seinen Tragebeutel gleiten und verschwindet ohne Trinkgeld zu hinterlassen.

Doktor Laszlo Hrdlìzkca, Hobbyethnologe ehemals aus Wienerneustadt und nun in Bochum lebend, erreicht soeben mit seiner Familie – freudig erregt - die Stadtgrenze von Vernazza. Er hat die für Touristen gesperrte Landstraße unbehelligt und trotz Androhung saftiger Strafen unentdeckt bewältigt. Jetzt versteckt er eilig seinen überdimensionalen Campingbus im örtlichen Parkhaus. Er lacht sich ins Fäustchen, weil er einem schläfrigen Posten der Carabinieri ein Schnippchen geschlagen hat. Doch Hrdlìzkca irrte. Der Polizeiposten hat nur so getan, als sehe er nichts und hat seine Falle perfekt gestellt.

Im Hochgefühl anstehender Stadtbesichtigung treibt er Frau und drei halbwüchsige Gören in Richtung Hafen, auch wenn er sich über die 50-Euro-Strafe des Carabiniere geärgert hat. Jetzt heißt die Devise: Sich richtig Zeit nehmen, die völkerkundlichen Besonderheiten und Riten begutachten, den romantischen Hafen mit seinem urwüchsig-pittoresken Charakter durchstreifen und die mediterranen Schönheiten auskosten. Denn wer kennt schon den Geheimtipp Ligurien und Vernazza? 

Noch ahnt er nicht, dass der kleine Stadtkern von Vernazza wegen des touristischen Ansturms weder zu Fuß, noch mit Geduld kaum zu durchdringen ist. Er weiß auch noch nicht, dass die Gebühren des Parkhauses für sein Wohnmobil der Marke „Big Traveller“ etwa zwei Drittel des jährlichen Gemeindehaushaltes von Vernazza decken. Er hat das Kleingedruckte am Parkautomaten nicht gelesen, sonst hätte er gesehen, dass sich die Parkgebühren für die ersten 30 Minuten von 8 Euro stündlich verdoppeln.

Ab 19 Uhr 30 kehrt Ruhe ein. Doktor Laszlo Hrdlìzkca sitzt völlig erschöpft mitsamt seiner missmutigen Familie in einem der verwaisten Straßencafés. Das letzte Schiff der weißen Flotte pflügt mit sechzehn Knoten und teutonischem Ballast dem Heimathafen Livorno entgegen. Nur Laszlo samt Anhang muss in der Stadt bleiben. Zum einen, weil das Parkhaus seit einer Stunde geschlossen ist und zum anderen, weil er am nächsten Morgen eine telegraphische Geldanweisung seiner Bank erwartet, um "Big Traveller" im Parkhaus auszulösen.

Lauer Wind säuselt über die Hafenmole. Man spricht nur noch italienisch. Auf der Piazzetta kosten die Montepulciano rosso und Espressi nur noch ein Drittel so viel wie tagsüber. Der Einheimische, auch mein Cousin und ich, wir können wieder befreit durchatmen. Die Teutonen haben für ein beachtliches Bruttosozialprodukt für die Gemeinde gesorgt.

Morgen sind wir ihn wieder los, diesen Herrn Hrdlìzkca und seine lästige Familie und grinsen uns eins, weil er einen Kleinkredit der Übernachtungskosten und der Parkgebühren wegen bei seiner Bank aufnehmen muss. Nur Helge geht uns noch auf die Nerven, weil er das letzte Schiff verpasst hat. Er hat beim Studium des Fahrplans "Arrivo" und "Partenza" verwechselt. Jetzt sucht er seit Stunden vergeblich ein preiswertes Zimmer. Auch ihn wird Übernachtung teuer zu stehen kommen.

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Kommentare

  1. Herrlich,
    K. Wecker: „Reisezeit, ob Süden oder Osten,
    wohin ist ganz egal, es soll nur wenig kosten.
    Komm, mein Kind, heuer sind wir cool
    Und fahrn nach Istanbul.
    Autobahnen locken - mit Blut, Schweiß und Tränen.
    Hier muss man nicht mehr Mensch sein, hier denkt man mit den Zähnen.
    Und ohne Aufpreis kann man ganz bequem ein paar Leichen sehn.
    Ave, Caesar, morituri te salutant.“

    Tourismus sorgt für Einnahmen der Zielgebiete? Heute wohl nicht mehr.
    Touris überschwemmen weltweit organisiert bis in den letzten Winkeln der Erde die „Reisegebiete“ samt ihren Einheimischen, zum „anschauen und blöd daherreden“.
    Der brave All-inklusive-Touri, ob in Hotelanlagen oder auf Kreuzfahrtschiffen diniert nicht mehr in der Urlaubsregion.
    Ein Eis, Kaffee oder ein Souvenir für die Daheimgebliebenen kann Mann/Frau schon mal „mitnehmen“ natürlich mit Gemotze und Beschwerden zu den absurden überhöhten Preisen,
    wo doch der Pauschaltori doch AI hat. Noch schlimmer sind die „Kreuzfahrtschiff´ler“!
    Klima, CO2-Ausstoss, Schutz der Gewässer, Brandungsschäden, Schäden der Küstengebiete, macht doch nichts, schließlich ist dies ein Milliardenmarkt.
    Zu Hause am besten auch noch grün wählen, zwecks Gewissen und so.

    Was fällt dazu noch ein?
    EAV: „Ist der Massa gut bei Kassa, fliegt First Class er nach Mombasa.
    Den Strohhut am Kopf und am Bauch die Kamera, Currywurst-Zombies, jessasna.“

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