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Der Künstler - ein poetischer Streifzug durch Form und Farben

Der Motor des schweren Radladers lässt die Luft vibrieren. Der Geruch von Schmierfett und verbranntem Öl schwängerte das Führerhaus des stählernen Ungetüms. Blaugraue Dieselschwaden hüllten Karl Rossheimer ein, als er den Motor warmlaufen ließ. 

Karls stahlblaue Augen fixierten die Bodenwelle und er gab Gas. Der eiserne Rachen fraß sich mit seinen Zähnen gierig ins Erdreich und riss eine breite Wunde in den grindigen Boden.

Seit seiner Jugend – und das ist einige Zeit her -, wollte Karl nie etwas anderes sein als Baggerfahrer oder Kunstmaler. Letzteres scheiterte aus Gründen seiner Herkunft. Sein Vater - Maurerpolier am Bau, die Mutter - Bedienung im Bahnhofsrestaurant in Gelsenkirchen-Buer. Da gab es für Schöngeistiges oder gar Kreatives keinen Raum. Schweiß, Enge und Tristesse, schäbiger Linoleumboden und der Geruch von verkochtem Kraut brannten wie Wundmale in seiner Seele. Und so landete Karl nach der Lehre in einem Gartenbaubetrieb. Dort veränderte sich sein Leben in eine Blumenwiese und stimmten ihn milde.

Er hatte eine euphorische Verbundenheit zum erdigen Braun, zur Jahreszeit des Frühlings mit seinem zarten Grün, oder dem Sommer mit der sattgrünen Lebensfülle. Vor allem der Herbst hatte es ihm angetan, wenn sich Bäume und Büsche mit ihrem Blattwerk im orgiastischen Farbenwettstreit gegenseitig übertreffen wollten. Und so kam es, dass sich Karl der Natur, dem Wetter und den Landschaften hingab und auf fleischliche Freuden verzichtete.

Es erfüllte ihn mit größter Genugtuung, wenn er mit Inbrunst gewaltige Erdwälle vor sich herschob, Böschungen auftürmte und mit fünfhundert Pferdestärken und gestalterischem Feingefühl anmutige Hügel formte. Nichtsdestoweniger vergaß er nie das Streben nach dem Wahren und Schönen, nach der Liebe zur Malerei und zur Kunst.

Sobald Charlie, wie ihn seine Kollegen nannten, die Kabine seiner Eisenraupe bestieg und auf dem luftgefederten Fahrersitz Platz genommen hatte, schlich sich in seine Miene erwartungsvolles Vergnügen und in seinen Augen blitzte es auf. Es war, als begäbe er sich in andere Welt. Umgeben von Schaltern und Armaturen, Pedalen und Hebeln pflügt er gottgleich durch die Scholle und komponiert aus Humus, Lehm und tonnenschweren Findlingen liebliche Landschaften. »Arbeit ist konkrete Kunst«, sagte er immer, wenn er von seinen Kollegen gefragt wurde. Dann ließ er sie irritiert zurück und widmet sich der archaischen Erde im konkreten Jetzt.

Und dann kam der Tag, an dem sich für Karl alles änderte. Eine entfernte Tante vermacht ihm ein gehöriges Sümmchen. Die Welt würde sich von nun an daran gewöhnen müssen, in Zukunft sein wahres Talent zu würdigen. Ausgestattet mit Overall, den er eigens mit weißen und roten Farbklecksen aufgehübscht hatte, wandte er sich mit einem schwarzen Zigarillo im Mundwinkel und einer kecken Baskenmütze von seiner geröllbewegenden Vergangenheit ab.

Nur wenige Tage später ließ er sich auf der Insel La Gomera nieder und lebte fortan sein wahres Ich, nannte sich Carlos, bezog ein Atelier und stürzte sich auf Palette und Pinsel. Er ließ sich einen Lippenbart wachsen, rollt das „R“, und vereinigte sich mental-symbiotisch mit dem mediterranen Flair und der einheimischen Bevölkerung. Vor dem Eingang seines Ateliers prangte ein gerahmtes Schild: „Malen befreit, Kunst als Therapie. Finde Zugang zu deiner Kreativität und schöpferischen Kraft.“

Interesse und Buchungen ließen nicht lange auf sich warten. Zur Optimierung seines Angebotes verlieh er mit geschickt intoniertem katalanischem Timbre seiner schöpferischen Botschaft südländische Wurzeln. Weltenbummlerinnen, Aussteigerinnen und Touristinnen, sie alle nahmen die Gelegenheit wahr, sich in die kundigen Hände des Künstlers zu begeben, um sich vom alltäglichen Stress mit Kinder, dem Ehemann, dem Beruf und des Einerleis in der Küche zu befreien.

Carlos fiel es leicht, sein Credo für die Kunst in werbewirksame Worte zu kleiden. „Finde Befriedigung und Freude am Erschaffen und Gestalten.“ Wenn er das Wort „Carrracho“ aussprach, wippte der erkaltete Stummel seines Zigarillos provokativ im Mundwinkel. Die aus hinderlichen Konventionen und gesellschaftlichen Zwängen temporär befreiten Damen schmolzen reihenweise dahin, wenn Carlos in spanisch den einzigen Satz, den er beinahe fehlerfrei beherrschte, anfügt: »sienterte auténtico y experimentar el significado de tu existencia!«

In Ermangelung spanischer Sprachkenntnisse verstand keine der anwesenden Damen die Bedeutung, nichtsdestoweniger erschauerten ihre esoterischen Seelen. Der Andrang von Frauen mittleren Alters, die sich um den Maestro scharten, war übermächtig. Sie alle wollten ihre gestalterische Fingerfertigkeit am Objekt vervollkommnen und Carlos hatte alle Hände voll zu tun. Der Überfluss an weiblichen Rundungen, überwiegend in geräumigem und biologisch unbedenklichem Lila gehüllt, animierten Carlos, sich einer konkreten Kunstrichtung zuzuwenden. Den Körperlandschaften und topographischen Erhebungen, den Formen  und Linien – wie sie einstweilen nur Gott und er, zur Not, versteht sich, auch mit einer Planierraupe erschaffen konnte.

Aus Kunst und willigem Fleisch entstand für den Genius mit Weißkohl durchtränkter Vergangenheit ein erfüllendes Gesamtwerk. Die Damen genossen die energetisch aufgeladenen Selbstverwirklichungsorgien und das Überschreiten mentaler und konventioneller Grenzen, die nach der ersten Woche in einen emotionalen Schwebezustand mündeten und anschließend lerninhaltlich in einer künstlerisch-erotischen Entfaltung endeten.

Carlos Hinwendung zu diesem Sujet erfolgte zugegebenermaßen nicht, weil das Malen nach Modell auf dem Stundenplan stand, sondern aus persönlicher Pläsier und latenter Neugierde an den vielfältigen Frauenkörpern. Die Lust als Kunst begreifen, - ein Satz, den Carlos zur ganz persönlichen Metapher erhoben hatte und sie auskostete bis zur völligen Erschöpfung. Ja, Carlos hatte viel aufzuholen und begriff schmerzlich seine Versäumnisse. Gomorrha und Gomera, zwar geographisch weit voneinander entfernt, aber in unmittelbarer emotionaler und phonetischer Nachbarschaft. Für Karl jedenfalls hätte Sünde, Laster und der Überfluss nicht lebenserfüllender sein können.

Als Planierraupenfahrer hatten sich damals nicht übermäßig viele Chancen auf weibliche Zuwendung und fleischliche Verwirklichung geboten. Klobige Hände, erdverdreckt und schwielig, Blaumann, Helm und eine deftige Sprache hatten Frauen mit dem Hang zur Töpferei und zu Batikkursen panisch zurückschrecken lassen. Zu gewöhnlich – zu vulgär.

In Gomera war mit einem Schlage alles anders geworden. Ihn, den Lebenskünstler mit Farbpalette und grober Leinwand, den Schöpfer mit großzügigem Pinselstrich dagegen, vergötterten sie -, hingen an Maestros dozierenden Lippen und seinen wilden, verruchten Augen. Sie liebten seine Unflätigkeit, fühlten sich geschmeichelt, wenn er ihnen im Suff und rauchiger Stimme frivole Komplimente machte. Ein Künstler eben, ein fleischgewordener Epikureer. Der darf das.

Carlos erschuf Körperlandschaften zuhauf. Seine besten Werke, so betonte er immer, erhielten den Ehrenplatz im Atelier. Täglich wechselnd, fügte er leise hinzu. Niemand wusste, wer die jeweils in Farben gebannte Muse war, niemand konnte etwas über Stand und die Herkunft der Frau auf der Leinwand sagen, die mit ruppigem Pinselstrich verewigt war. Machte aber auch nichts, weil Carlos der Genießer uns den ideellen fraulichen Gesamtkörper zeigte, das Weib in seiner Schönheit schlechthin. Das Gesicht angedeutet oder gleich gar nicht angelegt, es blieb im Ungefähren. Ganz Projektionsfläche des Betrachters. Carlos war nur das Medium. Es malte aus ihm heraus.

Erkundigte sich jemand, wer die unbekannte Schöne mit den atemberaubenden Brüsten, den fülligen Schenkeln und dem gnadenreichen Hüftbogen war, die an seiner Atelierwand hing, erklärte er verschmitzt: Ein offenes Kunstwerk ist Vorraussetzung für jede Kunst. Es muss vieldeutig interpretierbar sein, darf dem Betrachter keine Kurzschlüsse nahelegen. Dann nahm er einen tiefen Schluck aus seinem Rotweinglas, rückte die Baskenmütze zurecht und betrachtete schmunzelnd sein Werk.

»Damals auf meiner Planierraupe« erinnerte er sich, »habe ich enorme Hügel geschaffen.« Dann machte er eine beredte Pause und fügte meist mit geheimnisvoll-wissenden Lächeln an: »Wenn ich sie betrachten will, muss ich einige Meter zurücktreten, um das Ganze zu sehen. Heute ist es umgekehrt, ich trete heran, will ich mich den weiblichen Konturen ernsthaft widmen. Faszinierend, wenn es auf milchweißen Erhebungen rosig knospt und ich das Geheimnis des Eros auf die Leinwand übertrage.« Dann bemerkt er wie nebenbei: »Die fühlbare Dimension üppiger Frauen um die Fünfzig zu erleben, das macht Kunst zur Wahrheit und die Haptik zum Genuss!«

Was immer Carlos genau damit sagen will, er schweigt, zählt am Abend seine Einnahmen und macht einen letzten, tiefen Zug an seinem Stummel. Dann schnickt ihn achtlos beiseite und taucht den Pinsel in tiefes Kaminrot. Sein kraftvoll-ruppiger Pinselschlag erinnert den Beobachter an die Gewalt seines Raupenbaggers mit seinem stählernen Schaufelarm, mit dem er vor langer Zeit jede Menge Grasnaben entjungferte.

Claudio Michele Mancini

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  1. Das Ziel des Lebens besteht nicht darin, auf der Seite der Mehrheit zu stehen, sondern zu vermeiden, sich in den Reihen der Wahnsinnigen wiederzufinden.“
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