Eines möchte ich voranstellen, Spanien ist eine grandiose Nation, ein Land voller Gegensätze, eindrucksvoller Naturlandschaften und interessanter Menschen aber auch ein Land voller Mysterien. Eine der bemerkenswertesten Eigentümlichkeiten ist der Spanier selbst.
Obwohl er selten lacht, gilt er in Europa als klassischer Latinlover und erfreut sich deshalb nicht nur bei deutschen Blondinen großer Beliebtheit. Den Spanier umgibt ein melancholischer Nimbus mit ungeahnter Wirkungskraft auf alles was Röcke trägt. Die temperamentvollen Vertreter von Julio Iglesias brechen mit abgründigen Augen, ihrem rollenden „r“ und verführerischem Minnegesang unter Zuhilfenahme einschmeichelnder Gitarrenklänge die Herzen der Frauen gleich Kompanieweise.
Der herkömmliche Spanier heißt José, Ramon, oder Carlos, ist zumeist glutäugig und dunkelhaarig, bedauerlicherweise aber von gnomenhaftem Wuchs. Für die Frauen aus nordeuropäischen Ländern stellt seine puristische Körpergröße kein außergewöhnliches Hindernis dar, zumal er die fehlenden Zentimeter durch hohe Absätze und imponierend stolzes Auftreten wettmacht.
Oft ist er an den Badestränden der zahlreichen Urlaubsorte zu finden, weil dort die deutschen, dänischen, schwedischen und holländischen Blondinen auf ihn warten. Anbetungswürdig, wenn er zärtlich die Worte: „mi’ amorrr“ in ihr Ohr flüstert. Dann sprühen seine Augen wie eine getunte Metallfräse und treibt den Damen am Strand trotz infernalischer Hitze die Gänsehaut auf den Rücken. Nur schwimmen tut er nicht, der Spanier. Er steht maximal bis zu den Knöcheln im Wasser und zeigt sich dem Publikum.
Seine Gastfreundschaft ist sprichwörtlich und seine Neigung zur Haptik enorm. Besucht man ihn zu Hause, wird zuerst ungeheuer viel geküsst. Männer küssen Frauen, Frauen küssen Frauen, Kinder küssen andere Kinder, Tanten küssen Onkels, Kusinen küssen Großväter. Begrüßungen am frühen Morgen können bis in die Mittagszeit dauern. Nach ausgiebigem herzen und kosen wird gegessen.
Und da schlägt er richtig zu, der Spanier! Paella, Empanadas, Tortilla de patatas, Jamón ibérico – die Keule eines reinrassigen Schweins, das nur mit Eicheln gefüttert wurde und Chorizo, die rote Wurst vom Schwein mit Paprikapulver, eine vorzügliche Delikatesse. Der Verzehr üppiger Mahlzeiten ist anstrengend und zeitraubend, zumal kraftraubende 45°C im Schatten herrschen. Und wenn er satt ist, der Spanier, dann legt er sich für eine halbe Stunde aufs Ohr. Mancher auch länger. Er nennt sein Mittagsschläfchen Siesta, ganz im Gegensatz zu dem Wort Fiesta, was das ganze Gegenteil bedeutet. Gelegentlich ist zu hören: Wer in Spanien nachmittags zwischen drei und fünf Uhr auf den Beinen ist, gilt als seltsam oder kommt aus Deutschland.
Eine weitere Besonderheit entdeckt der Tourist, sobald er auf der Iberischen Halbinsel eingetroffen ist. Der Straßenverkehr in Spanien und ein langes Leben in Unversehrtheit passen nicht zusammen. Rote Ampeln interessieren keinen, Tempolimits interessieren keinen, Überholverbote interessieren schon gar keinen. Zebrastreifen gelten als Aufforderung zum Gas geben. Wer nicht über erstklassiges Reaktionsvermögen verfügt, stirbt. Das Verhalten auf spanischen Straßen verleitet mich zur Annahme, dahinter muss eine sozialpolitische Maßnahme stecken. Vermutlich will die spanische Regierung die Bevölkerungszuwachsrate auf gleichem Niveau halten und teure Rentner ausdünnen.
In Großstädten wie Madrid, La Coruña oder Barcelona, rettet man sich als Spanien-Neuling während der Stoßzeiten, die im allgemeinen 24 Stunden andauern, vor den motorisierten Matadoren am einfachsten in eine der zahlreichen Bars und brüllt seine Bestellung über den Tresen. Nicht, weil man Ihnen als Ausländer nicht zuhörte, sondern weil dort in voller Lautstärke der Fernseher läuft, in dem ein völlig überdrehter Sportreporter im Carrrracho ein Fußballspiel kommentiert. Noch überdrehter sind einheimische Gäste. Scharenweise sitzen sie vor der Glotze und trinken schwarzen Kaffee mit Anis und Weinbrand.
Spanier gelten als lottobesessen, temperamentvoll, kritikresistent, eitel und unpünktlich. Letzteres erlernt der echte Spanier schon von Kindesbeinen an. Die völlige Ignoranz von Uhrzeiten ist sozusagen Bestandteil einer reputablen Erziehung. Spanische Schüler kommen immer zu spät in die Schule, sind aber trotzdem noch vor ihren Lehrern da. Nun ja – sie sind eben noch in der Ausbildung! Das Ergebnis dieser mediterranen Education ist überraschend wie eindrucksvoll. Erwachsene Spanier sprechen schnell, viel, laut, überall, jederzeit und vorzugsweise gleichzeitig.
Gleichgültig in welchem Alter, sie sind erstaunlich lärmresistent. Lautstärke-Regler stehen am liebsten voll auf Anschlag, und die ganze Nacht röhren tiefergelegte Schlitten und aufgemotzte Mopeds durch die Straßen. Es stört keinen. Stille dagegen wird eher als beunruhigend empfunden und ist wirkungsvoller als ein Bombenalarm. Das Schlüsselwort zum spanischen Alltag ist „mañana“, weil Spanier immer alles auf den nächsten Tag verschieben will, selbst eine Bombendrohung. Mañana kann aber auch bedeuten: irgendwann morgen im Laufe des Tages, übermorgen, überübermorgen, nächste Woche - oder nie.
Stolz ist er, der Spanier und auch ein blutrünstiger Ästhet. Ständig sitzt er in einer Stierkampf-Arena und ruft begeistert „viva el muerte“, wenn der Stier weidwund und blutüberströmt die rote Muleta attackiert, unter der sich der todbringende Degen verbirgt. Ansonsten ignoriert er einfach alles, was keinen Spaß macht. Immerhin erlaubt dieses martialische Ritual dem deutschen Touristen in tiefer Befremdung die psychische Verrohung des Küstenbewohners an den Pranger zu stellen. Der Teutone hat keinen Zugang zur archaischen Wildheit in der Auseinandersetzung mit den Themen Menschlichkeit und Tod und versteht deshalb auch nicht die Begeisterung über das Meucheln eines Stieres unter freiem Himmel, die zum Feiern Anlass bietet.
Absolut keine Freude macht es dem Iberer, wenn sich der Torero vor dem wutschäumenden Stier über die Barriere der Arena rettet, anstatt sich von ihm den Bauch aufschlitzen zu lassen. Ähnlich ungehalten reagiert er, wenn man als Frau mit unrasierten Beinen herumläuft. Das führt bei einem echten Spanier unweigerlich zu allergischen Reaktionen, mindestens aber zur Minderung der Lebensfreude. Blondine hin, Brünette her, die Dame muss rasiert sein, unter den Achselhöhlen, an den Beinen oder wo auch immer. Dennoch ließe er sich niemals seinen Hang zum Genuss verderben. Die höchste Lust des Spaniers allerdings zeigt sich beim Flamenco.
Wenn die Malagueña oder der Cartagenera von Paco de Lucía erklingt, ist es um sein sensibles Coracón geschehen. Während die Gitarristen die Saiten ihrer Instrumente höchsten Belastungen aussetzen, bringt die Tänzerin mit ihren stampfenden Absätzen die Bühne an den Rand des Einsturzes. Der feurige Spanier buhlt mit exaltierter Gestik und leidender Miene um seine Angebetete, als würde er gerade mit einer Geburtszange kastriert.
Frenetisch
klatschende Zuschauer feuern den Tänzer an und rufen unentwegt „olè“, ähnlich
wie beim Stierkampf. Wenn er dann vor der lasziven Schönheit auf die Knie fällt
und im Taumel vollendeten Liebesschmerzes mit sehnsuchtsvollem Timbre
„esperanca mi coracón“ schluchzt, dann ist kollektives Tränentrocknen angesagt.
Der Tourist nimmt bedauernd zur Kenntnis, dass der Kerl vor lauter Liebesgram
nicht auf der Stelle tot umfällt.
Spanien ist das wohl feierwütigste Land Europas. Wenn der Neuzeitspanier nicht gerade in der Corrida dem Picador zujubelt oder eine emanzipierte Schwedin aus Stockholm begattet, dann feiert er. Statistisch gesehen steigt in Spanien alle 20 Minuten ein Volksfest. Pro Jahr zählt man laut einer nationalen Schätzung über Fünfundzwanzigtausend Veranstaltungen. In dieser Hinsicht habe ich im Lande der Toreros schon ziemlich Erstaunliches erlebt. Eines der prunkvollen Feste in Spanien ist der Sieg der Christen über die Mauren, vor über 500 Jahren. Heute stürmen die Mauren wieder zurück und feiern mit.
Die Einwohner von Buñol stimmen jeden August den Schlachtruf „Tomaten, Tomaten, wir wollen die Tomaten“ an und werfen sich in der weltberühmten "Tomatina" das Gemüse anschließend um die Ohren. Solch ausgelassenen Ritualen steht der Fremde völlig fassungslos gegenüber und versteht die Welt nicht mehr, schon gar nicht den Spanier.
Andere spanische Städte veranstalten zur gleichen Zeit Apfelsinen-, Wein- oder Eierschlachten. Solche Veranstaltungen enden gewöhnlich in einer unglaublichen Sauerei, deren Reste sich noch Wochen später in Straßenzügen und auf den Ramblas aufhäufen und den städtischen Reinigungskräften erheblich zu schaffen machen.
In Pamplona werden Anfang Juli Kampfstiere durch die Straßen zur Arena gehetzt, wo am Abend Stierkämpfe stattfinden. Hunderte Männer in weißer Kleidung mit rotem Gürtel rennen in selbstmörderischer Begeisterung vor den Stieren her. Oft endet das Spektakel blutig.
Ich gestehe, auch ich habe an einem solchen Stierlauf teilgenommen, jedoch nur unfreiwillig. Ich war gezwungen, mich vor einer wild gewordenen Spanierin zu retten, die fälschlicherweise annahm, ich hätte etwas mit ihrer Tochter. Spanier sind direkt. Sie zeigen schnell, wenn ihnen etwas gefällt, lassen sich aber auch anmerken, wenn ihnen etwas nicht passt. Ein Ausländer, der eine spanische Señorita unter dem Vorwand der Ehe verführt haben sollte, ergreift besser die Flucht vor der Mutter, die stampfende Stierherde im Nacken ist erheblich risikoärmer. Aber ansonsten sind sie friedfertig, die Spanier.
Es interessiert sie nicht besonders, wie andere ihr Land finden. Auch wenn im Jahre 1997 die größte Unterwasser-Pressekonferenz aller Zeiten an der spanischen Küste stattfand, bei der zwölf spanische Journalisten 16 Meter tief tauchten, um eine zwanzigminütige Buchpräsentation zu besuchen, ist der Iberische Durchschnittsbürger nur leidlich belesen. Aber das stört ihn nicht sonderlich. Wenn jemand Picasso für einen Italiener hält, ist ihnen das auch egal. Patriotismus wird nur vorgetäuscht, es sei denn, es geht um ihn persönlich und um seine Ehre! Ansonsten kommt er mit jedermann gut aus. Auch mit Touristen.
Deutsche nennt er schlicht „Cabezas cuadradas“ (Quadrat-Köpfe). Sie gelten als pünktlich, ordentlich, fleißig, streng und fahren auf deutschen Autobahnen stets mit über 220 Stundenkilometer auf der linken Seite. Man nimmt’s gelassen in der Erkenntnis, auf diese Weise sind sie schneller in ihrem Land und geben dort ihre schönen Euros aus. Denn eines tut der Spanier besonders gerne. Geld verdienen! Vor allem auf seinen Inseln und an den Stränden.
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Schön geschrieben. Danke dafür.
AntwortenLöschenIch finde es lustig wie du die Spanier beschrieben hast, danke 🤩🤩🤩
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