Was der Kripo in Rottweil 2015 erst als
Autoschieberei auffiel, entwickelte sich im Rahmen der Ermittlungen als
veritables Drogen- und Waffen-Netzwerk der sizilianischen Mafia, das die
unerfahrene deutsche Polizei zu überfordern drohte. Am 31.10.2018 begann in Konstanz
einer der spektakulärsten Mafia-Prozesse, die je auf deutschem Boden
stattgefunden haben.
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt und von
der Presse bestenfalls als Randnotiz erwähnte Verhandlung gegen neun
brandgefährliche Mitglieder der Cosa Nostra und der kalabrischen Camorra
scheint soll trotz der Brisanz offenkundig keine Wellen schlagen. Weil es im
Konstanzer Landgericht für ein solches Verfahren schlicht an Raum fehlt, wurde
nach langer Suche schließlich die ehemalige Siemens-Kantine im Stadtteil Petershausen
umgebaut. Das hat gedauert. Damit Fristen eingehalten werden konnten, fanden
die ersten beiden Verhandlungstage Anfang Oktober in Karlsruhe statt.
Der Weg in den Gerichtssaal führt an
Sicherheitsschleusen und schwer bewaffneten Polizisten. Mit gutem Grund. Die Angeklagten sind nicht irgendwelche Kleinkriminelle, sie gehören zur "Famiglia". Der
Großprozess soll bis Sommer 2019 andauern. Vierundfünfzig Anklagepunkte, siebzehn
handverlesene Strafverteidiger, zwanzig Angeklagte, das ist das Szenario auf
dem ehemaligen Siemensgelände. Zeugen? Wen wundert es. So gut wie keine. Erkundigt
sich ein unbedarfter Bürger in Siziliens Straßen nach der Mafia, bekommt er
sicher die Antwort: „La mafia non esiste.“ – Die Mafia existiert nicht. So in
etwa verhalten sich auch die Angeklagten.
Es geht um Drogen- und Waffenhandel, organisiert in
Palermo. Leutnant Giuseppe Campobasso, Leiter der Guarda Finanza in Palermo
erklärt mir, dass die investigative Zusammenarbeit zwischen den italienischen
und deutschen Polizeikräften aufgrund einer Warnung der amerikanischen
Drogenbehörde DEA- angestoßen wurde, die auf einem Schiff in Antalia/Türkei eine
Ladung Drogen sichergestellt hatten. Die Operation „Meltemi“ war angelaufen, die
sich auf Nicolò Maimone Mancarello, Fabrizio Miccoli und Placido Anello konzentrierten.
Alle Fäden liefen innerhalb der so genannten Cosce (Familienclan) zusammen.
Was in Italien in einer solchen Verhandlung ablaufen
würde, scheint in Deutschland undenkbar zu sein. Überhaupt scheint bei dem deutschen
Richter und den Ermittlungsbehörde Behörden eine gewisse Naivität
vorzuherrschen, die man in Italien, was die Mafia angeht, nicht kennt. Dennoch,
bei einer konzertierten Aktion deutscher und italienischer Fahnder
beschlagnahmten die Beamten in Italien Raketenwerfer, Waffen, Drogen, Autos und
Luxusvillen. Ähnlich fündig wurde man auch an verschiedenen Orten im
Schwarzwaldkreis. So wurde unter anderem eine Indoor-Plantage aus Cannabis und
12,5 Kilogramm Marihuana, sowie sechs Autos unter der Koordination der Strafverfolgungsbehörden
und Staatsanwälte von Palermo und Konstanz (Deutschland) sichergestellt.
Investiert wurde die Erträge in Deutschland, Restaurants,
Pizzerien, Modegeschäfte, Spielhöllen und Grundstücke. Der Besitzer einer
Kneipe und von Modeläden in Donaueschingen, der angeblich Spielautomaten in den
entsprechenden Etablissements gewartet hatte, ist nach Auskunft seines Anwalts
alkoholkrank und seit seiner Haft auf Entzug. Die Anklage wirft ihm vor, seine
Kleiderlieferungen aus Italien seien nur Tarnung für den Transport von Drogen
gewesen. Außerdem soll er fünf Schüsse auf das Fenster einer Gaststätte in
Donaueschingen abgegeben haben, weil sich der Besitzer geweigert hatte,
Spielautomaten von Nicolò Mancarello aufzustellen. Ja, so etwas kann bei der
Mafia ins Auge gehen.
Der Umfang des kriminellen Netzwerkes wuchs stetig
weiter an, je länger die Beamten ermittelten. Comanante Francesco Mazzotta (Direzione
Investigativa Antimafia) erklären und Chefermittler Guiseppe Campobasso, dass
sich die Aktivitäten hinsichtlich des Drogengeschäftes von der Türkei über
Albanien und dem holländischen Hafen Rotterdam erstreckten und die Verteilung über
die Pizzerien und Ristoranti der beiden Hauptbeschuldigten im beschaulichen
Villingen, Rottweil und anderen
Standorten abgewickelt wurden.
Doch was sich im Konstanzer Gerichtssaal abspielt,
spottet jeder Beschreibung. Vor Gericht ist Nicolo Mancarello eher auf die
Opferrolle abonniert, obwohl er bekanntermaßen in Palermo eine „große Nummer“
ist. Er fühlt sich zu unrecht angeklagt. Immer wieder beantragen seine Anwälte
Pausen, seine Familie möchte ihm gerne eine Stange Zigaretten zustecken, das
wird ihnen verweigert. Dann gibt er wieder Kopfschmerzen zu Protokoll und fügt
etwas theatralisch hinzu: „Macht ruhig ohne mich weiter.“ Richter Arno
Hornstein dankt mit triefender Ironie für „den kreativen Ansatz“, setzt dann
aber gemäß der Prozessordnung eine Pause für alle.
Pizza-Connection - Placido Anello |
Die ersten Prozesstage in Konstanz sind geprägt von ständigen
Unterbrechungen. Die Verteidiger verlangen italienische Akten ins Verfahren
einzuführen. Bis sie übersetzt sind, sei der Prozess auszusetzen. Oder die
Anwälte versuchen mit allen Mitteln zu verhindern, dass der Chefermittler als
einer der ersten Zeugen vernommen wird, was in Strafverfahren absolut üblich
ist. Die Begründung: Seine Aussage habe vorverurteilenden Charakter. Immer
wieder muss sich das Gericht deshalb zur Beratung zurückziehen. Das hemmt den
Verhandlungsfluss. Ein Klassiker bei der Mafia, Prozesse zu torpedieren.
Unter den verhafteten Sizilianern befinden sich auch Felice
Formisano und Benito Amodeo. Ein weiterte Schlüsselfigur aus Palermo ist
unauffindbar, werden aber, wie alle Mafiosi, nichts zum Ausgang des Prozesses beitragen,
so viel ist sicher. Der Hauptangeklagte Placido Anello ist geradezu ein
Paradebeispiel eines unwissenden Mitgliedes der Cosa Nostra. Er hat das Gemüt wie
eines belustigten Fleischerhundes.
Der wuchtige Mann mit kahlem Schädel und energischem
Kinn scheint die Bühne der Verhandlung zu genießen. Jeden Prozesstag tritt er
in wechselnder modischer Sportkleidung auf, winkt lächelnd mit großer Geste ins
Publikum, lässt sich geduldig seine Fußfesseln abnehmen. Er sei ein
unbescholtener Pizzabäcker, lässt er die Journalisten über den Anwalt mitteilen.
Der Prozess werde das zutage bringen. Ansonsten schweigt er, lächelt und spielt
den Unwissenden.
Die Angeklagten schweigen, melden sich krank, lassen
Befangenheitsanträge stellen und werden ganz sicher das Schweigekartell nicht
brechen. Allenfalls einen der Angeklagten opfern. Anellos Anwalt Stirnweiss
hatte jedenfalls am ersten Prozesstag mit einem sizilianischen Sprichwort
unverhohlen auf die „Omerta“, das Schweigegelübde der Mafia verwiesen: „Wer
nichts sieht, nichts hört und nicht redet, wird in Ruhe hundert Jahre alt“,
antwortete der Strafverteidiger auf die Frage des Gerichts, ob sein Mandant
aussagen will. Das darf getrost als Warnung verstanden werden.
Machen wir uns nichts vor. In Deutschland sind mehr
als 1200 mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer der italienischen Mafia aktiv.
Besonders mächtig ist die 'Ndrangheta, die vor allem im Westen und Süden
agiert. Bevorzugte Standorte sind Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern
und Hessen. Bei den in Deutschland am stärksten vertretenen Gruppierungen
handelt es sich um die Clans Romeo-Pelle-Vottari und Nirta-Strangio aus San
Luca sowie Farao-Marincola aus Cirò, die auch in Leipzig, Erfurt, Dresden und
Berlin stark vertreten sind. Der Umsatz der Mafia wird in Deutschland auf 3 bis 5 Milliarden Euro per anno geschätzt. Doch die Omerta – das Schweigegelübde macht sie
nahezu unangreifbar.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen
ich freue mich auf jeden Kommentar