Mir liegt der Buchtitel des französischen Schriftstellers von
Émile Zola auf der Zunge. J’accuse! Er hat die Öffentlichkeit in einer Zeitung über
die wahren Hintergründe der Dreyfus-Affäre informiert und einen politischen
Skandal ausgelöst. Das wäre heute nicht mehr möglich, denn unsere sophistische Presse
neigt heutzutage eher zum Totschweigen, Bagatellisieren oder mit politisch
erwünschter Verfälschung von sensiblen Tatsachen. Eine neue Qualität – selektiver Humanismus auf Basis von machtpolitischen Erwägungen.
Es ist müßig darüber zu diskutieren, ob für Mörder,
asoziale Gauner, Betrüger und für all jene, die den sozialen und
menschlichen Frieden stören, das humanitäre Konzept der Solidarität und
Hilfsbereitschaft endet. Ich sage ja. Herkunft, Religion und Nationalität
spielen dabei keine Rolle. Keine Frage, dem Flüchtling, dem Vertriebenen und
allen, die in Not geraten sind, muss geholfen werden, das gebietet unsere
Menschlichkeit. Die Frage dabei ist nicht, was den „Einwanderern“ zusteht,
sondern auf welche Weise geholfen wird.
Wenn sich dann die Verfolgten und Geflüchteten – aus
welchen Beweggründen auch immer, nicht an das Gebot unserer westlichen Menschlichkeit, nicht an die Grundlagen unserer Moral und tradierten Lebensweisen halten, sie überdies
Hilfeleistende schamlos ausnutzen, unser Landesrecht und Ordnung mit Füßen treten,
den sozialen Frieden zerstören, mit Mord, Totschlag und Vergewaltigung
antworten, dann haben sie jede Hilfe verwirkt. Wenn dem Vorwand einer besonderen geschichtlichen Verpflichtung der eigene Staat auf die Angst,
Wut und Überforderung seiner eigenen Bürger nicht oder unzureichend reagiert,
dürfen sich die Politiker nicht wundern, wenn ihnen der Wind von vorne ins
Gesicht bläst. Was wir in Deutschland derzeit erfahren, ist die pervertierte
Haltung eines aggressiv verordneten Humanismus, der jeden Angriff auf unseren
sozialen Frieden und das gesellschaftliche Miteinander, sowie die gezielte
Unterwanderung kultureller Errungenschaften vorsätzlich ausblendet.
Um es vorweg zu nehmen, Humanität ist nicht nur ein
Begriff, der „menschliches Verhalten“ beschreibt. Sie ist die Grundlage der
Menschenrechte. Philosophen haben im 18. Jahrhundert die Kriterien umrissen,
„was den Menschen ausmacht“ oder „wie der Mensch sein soll“. Gemeint ist der
friedvolle, gütige, kultivierte Umgang untereinander. Somit ist es die Aufgabe
jedes zivilisierten Staates, die Würde und die Rechte jedes Menschen zu
garantieren, der sich auf seinem Gebiet aufhält. Und wohin man immer sich auf
dieser Welt begibt, ob als Tourist oder Flüchtling, als Besucher oder Gast, ich
habe mich an die jeweiligen Gegebenheiten und Gebräuche anzupassen. Das
wiederum gebietet die Höflichkeit und der Anstand.
Schon Marcus Tullius Cicero (43 v. Chr.) erklärte, dass
„der rücksichtslose Mensch, der sich für andere Menschen nicht interessiert, nicht
human sei“, sondern „unmenschlich“. Diese Zweiteilung in „Menschlichkeit und
Unmenschlichkeit“ wurde nicht nur auf das konkrete Verhalten von Menschen
bezogen, sondern auch als Ausdruck der „Wesensart“ „unmenschlich Handelnder“ gewertet,
der zufolge sie „Unmenschen“ seien. Entsprechend hat man mit der damaligen
Härte des Gesetzes reagiert. Selbstredend leben wir heute nicht mehr im
Altertum auch nicht mehr im Mittelalter, wenngleich man das Gefühl nicht mehr
los wird, dass mit einigen Schutzsuchenden das anarchische Mittelalter über das
Mittelmeer zu uns herüberschwappt.
Wobei wir bei des Pudels Kern angekommen sind. Als
zentraler Bedeutung erweist sich die Humanitätsfrage, wer darüber entscheidet,
welches Verhalten als „unmenschlich“ gelten soll. Die Antwort ist klar. Wer in
einem Staat über die Macht verfügt, definiert die wertenden Begriffe und belegt
asoziales Verhalten mit dem eigenen Rechtssystem. Doch dieses Rechtssystem
wurde durch Unfähigkeit, Überheblichkeit, Profilierungssucht, Systemversagen
und Wettbewerbsstreben nicht nur aufgeweicht, sondern ausgehebelt. Letzteres
führte zu einer dramatischen Entwicklung, die für die Bürger bis zum Zeitpunkt
des Flüchtlingsstroms nach Deutschland eher als angenehm empfunden wurde. Zu
wenige Richter, zu wenige Staatsanwälte, eine kaputt gesparte Polizei und
massiver Verzicht auf Sicherheitsmaßnahmen. Nun haben wir die Folgen zu tragen.
Eine tiefgreifende Spaltung unserer Gesellschaft.
Die eigentliche Tragik liegt in der Tatsache, dass die
Politik aus macht- und gesellschaftspolitischen Gründen, auch aus Gründen der
Staatsraison den Bürgern unter allen Umständen ein Klima der Normalität
suggerieren will. Nicht nur der Erhalt eigener Macht- und
Versorgungsprivilegien stehen auf dem Spiel, auch der Nimbus der Integrität,
der nicht angezweifelten Fähigkeiten und der Respekt bröckelt an allen Ecken
und Enden. Immer öfter hinterfragen die Kompetenzen unserer Politiker, immer
öfter bezweifeln deren Führungsfähigkeiten.
Sie haben es sich selbst zuzuschreiben. Wenn Politiker von
jenen, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen, oft genug Verbrechen,
Terroranschläge, Übergriffe und Betrügereien begehen, die aus
„staatspolitischen Selbsterhalts“ bagatellisiert, geschönt, verschwiegen oder
verfälscht werden, dann bringt das auf Dauer die Bürger auf die Palme. Welchen
Wunden schlagen Politiker, angefangen bei Bürgermeistern bis hin zu unserer
Kanzlerin, wenn Opfer in unserer Gesellschaft von ihnen kaum Beachtung finden?
Was löst es bei den Betroffenen in Berlin, Freiburg, Kandel, München oder
Duisburg aus, wenn Taten und Täter unter dem entschuldigenden „Deckmantel“ von
Traumata, psychischen Störungen oder „schlechter Behandlung“ nur noch dann
offenbart werden, wenn es nicht mehr zu vermeiden ist.
Man möchte manchmal schreien vor Empörung und Ohnmacht, mit
welch dreisten Argumenten und schamlosen Verfälschungen offenkundige
Verbrechen unserer ungebetenen Gäste in Nebensächlichkeiten umgewandelt werden, für die
teilweise sogar Verständnis und Nachsicht eingefordert werden, zumal Staat und
deren Vertreter ja niemals Verantwortung übernehmen. Mitgefühl werden in
standardisierte Floskeln verpackt und für die Eigenprofilierung genutzt. Im gleichen Atemzug werden Pauschalisierungen verurteilt obwohl jede ehrliche Kriminalstatistik fast zwangsläufig zu solchen Verallgemeinerungen einlädt. Echte
Empathie? Fehlanzeige. Unterstützung, Betreuung, langfristige Hilfe für Opfer?
Bestenfalls Lippenbekenntnisse und gespielte Betroffenheit vor den Kameras, im
Anschluss werden Betroffene totgeschwiegen, weil nicht sein kann, was nicht
sein darf.
Die Hinterbliebenen trifft das pervertierte System falsch
verstandener Humanität wie ein Keulenschlag. Sie empfinden es als
Stigmatisierung, als Kränkung, Verletzung und oft auch als Ausgrenzung. Jene
Opfer sind die wahren Verlassenen und Vergessenen, die man mit einem
bedauernden Blick ihrem Schicksal überlässt und deren Forderungen mit allen zur
Verfügung stehenden Behördenhürden abschmettert. Ist das die Humanität unserer
gesellschaftlichen Elite?
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