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Anne Wills Gäste – oder Stuhlkreis der Auserwählten

Da saß er wieder einmal, Sachsens Chefstratege und ausgewiesener Edel-Opportunist Michael Kretschmer durfte gemeinsam mit dem bundesdeutschen Leckermäulchen Peter Altmaier das deutsche Publikum über die „neue Normalität“ aufklären.


Mit von der Partie waren Michael Hüther (Wissenschaft und Politik) und ein bezopfter Späthippie und Infektionsforscher mit dem grün-verdächtigen Doppelnamen Michael Meyer-Hermann. In gebührendem Sicherheitsabstand die Juristin Sabine Leuthäusser-Schnarrenberger (FDP), die ihr Gegenüber mit einer Miene musterte, als sei dieser gerade einer Bio-Mülltonne entsprungen. Es währte nicht lange, dann ging es hoch her.

Der Begriff „neue Normalität“, von Finanzguru Olaf dem Kahlköpfigen aus der Taufe gehoben, beschreibe offenkundig, so die Mutmaßung von Anne Will, dass mit Einzelhaft, Sippenhaft, Gruppeninternierung und Parkbanksperrungen, verbunden mit Trackingzwang und Mundschutz, die Deutsche Neuzeit beginne. Nun ja, auch Kanzlerin Angela, die auf profunden Erfahrungsschatz aus der Vergangenheit zurückgreifen kann, wie man ein ganzes Land nicht nur festsetzen, sondern auch zum Schweigen bringen kann, hatte das Scholz’sche Synonym der neuen Normalität in ihrer Pressekonferenz aufgegriffen.

Sie beschrieb die Situation in unserem Land allerdings mit dem Terminus „zerbrechlicher Zwischenerfolg“, ein Zustand, den man durch plötzliche Lockerungen nicht gefährden dürfe. Der rötlich bezopfte Infektionsforscher Meyer-Hermann, der optisch gesehen scheinbar eine gelungene Symbiose zu einer Bazille eingegangen ist, warf aggressiv in die Runde: „Die Kanzlerin hat, verdammt noch mal, Recht! Bei Lockerungen gibt es eine explosive Ausbreitung des Virus.“

Altmaier beeilte sich mit seiner Zustimmung, während der Fleisch gewordene Allgemeinplatz aus Sachsen vehement seine Internierungsvisionen als conditio sine qua non verteidigte. In 14 Tagen will er bewerten, der Kretschmer, dann sehe man, welche Fortschritte man gemacht habe. Aber dann müsse man weiter beobachten. „Wie lange“, erkundigt sich Anne mürrisch. Man kann den präsidial-metamorphischen Sachsen ja verstehen, wenn er nichtssagend antwortet. Denn auch er zeichnet sich, wie viele seiner Kollegen dadurch aus, dass er Platos bekannte Aussage zu seiner Arbeitsgrundlage erhoben hat. Ich weiß, dass ich nichts weiß, dennoch rede ich.

„Wenn wir jetzt von 0 auf 100 hochfahren“, so Peter der Gewichtige, „hätten wir eine enorme Ansteckungsgefahr riskiert.“ 
"Was ist mit den 70.000 Betrieben im Gastro-Bereich, die jetzt vor dem Aus stehen?", insistierte die auf Krawall gebürstete Anne. Michael Kretschmer, konterte mit Mehrwertsteuersenkung und Sonderhilfen, die man diskutieren müsse. Aber das kennt man ja. Es dürfte wie immer, bei Diskussionen, Debatten und offenen Fragen bleiben. Dem Ökonomen und Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, ist das alles zu lasch, zu unverbindlich, zu wenig und machte seiner Verachtung Luft. Recht hatte er.

Jetzt zog Kretschmer aufgebracht vom Leder und klärte den TV-Bürger mit einer rührseligen Geschichte auf, dass der Lehrer am Gartenzaun seines Hauses seinen beiden Kindern die Hausaufgaben überreicht habe. Alle Wetter. Ein Beispiel epochalen Ausmaßes, wie man Schule auch in Coronazeiten organisieren kann. Um ein Haar hätte ich mich an meinen Erdnüssen verschluckt, denn wer hätte bei einem Ministerpräsidenten solche geistreichen Argumente erwartet. Immerhin fügte er sofort hinzu, dass es keine Normalisierung in Sachsen geben könne, bevor es einen Impfstoff gäbe.

Anne Will interveniert und will von Altmaier wissen, ob die Bürger in Deutschland den verpflichtenden Mundschutz auferlegt bekämen. Peter windet sich, soweit man angesichts seiner Körperfülle von „winden“ reden kann. Dann meinte er verschmitzt lächelnd: „Ich hatte gewaltigen Gibber. Gestern wollte ich zu meinem Lieblingskonditor. Aber dort war eine so lange Warteschlange, dass ich mich mit frischem Obst über den Tag retten musste.“ Da platzte sogar Anne Will der Kragen. Ich hätte allerdings nur wenig Hoffnung, dass unser Wirtschaftsminister, süßen Sahnetörtchen und anderen Leckereien zugetan, die Coronakrise bei dauerhaft gesunder Ernährung unbeschadet überlebt.

Fazit: Die sächsische Worthülse scheint noch nicht verstanden zu haben, dass seine luftgetrockneten Argumente den ökonomischen Selbstmord nach sich zögen. Aber Schwamm drüber, Schwätzer haben in aller Regel nur eine kurze Halbwertzeit, dann werden sie von der Realität aufgebrachter Bürger eingeholt. Einziger Lichtblick war Susanne Leutheusser-Schnarrenberger, die ein wenig verklausuliert darauf hinwies, dass die Gerichte und insbesondere Richter dem Treiben nicht mehr lange zusehen werden. Selbst der Richterbund will in aller Kürze von der Politik plausible Begründungen für die einschränkenden Maßnahmen abverlangen.  



Kommentare

  1. Welch ein Glück, dass Sie lieber Claudio sich diese Sendungen des
    Staatsfunks antun. Ich mache das schon lange nicht mehr.
    Es beleidigt zu sehr meine Intelligenz. Schön ist es aber doch,
    dass Sie sich diese Mühe machen. Dafür meinen herzlichen Dank.
    Ich genieße Ihre Texte wie ein 3 Sternemenue....
    Mike

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