Bekennende Teetrinker gelten weithin als besonders kultivierte wie gleichsam sehr sensible Menschen. Sie lieben das Echte und Unverfälschte, wenn es um den leiblichen Genuss geht.
Die Tatsache, dass in Supermärkten der Earl Grey immer öfter gebeutelt und bunt kartoniert angeboten wird, ist ein tiefer, psychologischer Einschnitt im Leben jedes
feinsinnigen Teekenners. Der militante Tee-Fetischist kauft explizit in Teeläden, in denen er auch alle wichtigen Accessoires für seine Tee-Sessions erwerben kann. Denn Tee trinken, davon ist er zutiefst überzeugt, ist eine Kunst, die man angemessen zelebriert. Doch auch in anderen Lebensbereichen ist er ein
Sonderling.
Auch wenn ich mir den Unmut einiger, weniger Menschen auf mich ziehe,
nehme ich jetzt klar Stellung. Man erkennt die Spezies englischer und chinesischer Getränketraditionen auf den ersten Blick, sollte man ihr begegnen. Der männliche Teetrinker trägt vorzugsweise zusammen gezurrten Dutt am Hinterkopf, - im Volksmund auch Pferdeschwanz genannt, verabscheut Fußball oder
Faustkämpfe, verbündet sich mit Nichtrauchern, ist blutarm, bunt-affin und woke sowie humorlos. Er fährt Rad - gerne auch mit Anhänger und Wimpel, trägt Korksandalen, handgestrickte Pulli’s, weiß
alles besser und spricht leise. Oft ist er von Beruf Biologie-Lehrer, Mitglied bei den
Grünen, ernährt sich vegan und verabscheut ein echtes T-Bone-Steak wie der
Teufel das Weihwasser. Selten sind unter dieser merkwürdigen Lebensform echte
Kerle zu finden, die es richtig krachen lassen.
Somit eignet sich der männliche Teetrinker nur in Ausnahmefällen zum guten oder gar temperamentvollen Liebhaber. Spontane "One-Nigh-Stands" sind unter seinesgleichen weitgehend unbekannt - ja - sogar verpönt. Sein weibliches Pendent, die woke-grüne Teetrinkerin dagegen, ist mindestens ebenso puritanisch, was ihr leidenschaftsloses Liebesleben angeht. Das Einzige, was sie mit spitzer Schnute bläst, um sich dem vollkommenen Genuss hinzugeben, ist die Oberfläche des aromatischen Heißgetränks. Aber das nur am Rande.
Und die Teeproduzenten? Sie sind ungeheuer kreativ hinsichtlich
der Namensfindung, wenn es darum geht, ihre Aufgüsse attraktiver zu machen. In
einschlägigen Teeläden, in die sich ein Kaffeetrinker niemals verirren würde,
gibt es fantasievolle Auswahlmöglichkeiten. Taufrische Landlust,
Sonnenstrahl, Blütenkraft, da ist für jeden dehydrierten Hobbygärtner was
dabei. Besonders attraktiv sind Tees mit Doppelnamen und sonderbaren Aromen.
Apfel-Gingko, Ingwer-Grapefruit, Orange-Chai, Vanilla Caramel oder "Sleepytime
Decaf Lemon Jasmine Green Tea. Der soll sogar schlaffördernd wirken. Vermutlich
wegen des langen Namens.
Überhaupt, Körper und Gesundheit, sie sind unendlicher Quell für die Namensgebung der Tee-Kreationen:
Verdauungstee, Blasen-Tee, Bronchialtee, Magen-Darm-Tee, sogar die
Geschmacksrichtung "reine Frauensache" gibt's. Wenn er schon nicht
schmeckt, der Tee, dann soll er eben die Leiden lindern und die
Entzugserscheinungen wegen mangelnder Sexualpartner vergessen machen. Schwamm
drüber!
Die Gruppe der Kräutertee-Liebhaber stellen allerdings einen Sonderfall dar.
Sie haben so gut wie nie Sex, und wenn doch, dann keinen Guten. Zum Ausgleich
schauen sie heimlich bei einem würzigen Becher Tee in der Nacht Pornofilme im
Internet an, sind in der Regel Esoteriker und riechen muffig. Bei jener Konsumentengruppe dominieren
Pfefferminz - und Kamillentees, nicht nur der Gesundheit wegen. Sie sind ihrer
Kindheit noch nicht entronnen und bringen ihre Schmutzwäsche noch bis ins hohe
Alter nach Hause zu Mama.
Man komme mir jetzt nicht mit Traditionen aus England oder China, nur weil
dort das Teetrinken eine jahrhundertelange Tradition hätte. Stimmt zwar, aber
der Verzehr von Eichhörnchen in England und Hunden ist in China auch tradiert.
Teetrinker in England, das wir wissen doch alle: Bei ihnen schließen sich
lustvolle oder gar ekstatische Libido vollkommen aus, was nicht nur der guten
Erziehung, sondern auch dem exorbitanten Genuss von Tee und dem permanent beschissenen Wetter zuzuschreiben ist.
Ausnahme, das englische Königshaus. Dort treiben sie es wie die Karnickel und
trinken erst hinterher Tee.
Für mich als bekennender Kaffeetrinker ist Tee bestenfalls ein Aushilfsgetränk. Ein Anstaltsaufguss. Nicht umsonst wird er stets da verabreicht, wo man nicht davor flüchten kann: in Krankenhäusern, Schullandheimen und vor allem in England. Von militanten Tee-Aposteln wird immer wieder gern behauptet, Kaffee sei furchtbar gesundheitsschädlich. Nun, das stimmt, aber schließlich schadet das ganze Leben der Gesundheit, und da muss sich der Mensch seiner Umwelt anpassen. Verbissen gesund getrunkene Tee-Körper leiden nämlich an Schadstoffarmut und werden von allen einreisenden Krankheitskeimen umgehend überfremdet.
In einem kaffee-geschulten Organismus (Italiener, Spanier, Franzosen und Sizilianer sowieso) dagegen, sind Schadstoffe kein Fremdkörper, sondern werden im Gegenteil von allen anderen dort bereits anwesenden Schadstoffen genussvoll empfangen und klaglos verdaut. Unbestrittenermaßen sind wir deshalb auch mit Abstand die besten Liebhaber und brauen uns nach dem Liebesakt auch gerne einmal einen Espresso lungo.
Teetrinker sterben an der eigenen Gesundheit. Kaffeetrinker sind
dagegen entschlossene, widerstandsfähige Persönlichkeiten, die durch Koffein zu
echten Leistungen imstande sind. In öffentlichen Schanklokalen gefallen sie
durch spontane Entscheidungen und unmissverständliche Getränkewünsche. Teetrinker
prahlen mit Expertentum, müssen immer erst eine lange Liste absurder
Teemischungen durchhecheln und gutgelauntes Kneipenpersonal mit den
unmöglichsten Spezialbestellungen anöden. „Ach bringen sie mir doch bitte einen
Lapsang Souchon mit weißem Kandis. Im Porzellankännchen! Und bitte genau
siebeneinhalb Minuten ziehen lassen!“
Manche Teesortennamen klingen wie Geschlechtskrankheiten, andere wie
Automarken, Pflanzenschutzmittel, Kinderbuchtitel oder Sprechübungen für
Schauspieler. Wer einmal in einer Teestube einen "China Yunnan Flowery Orange Pekoe
Black" bestellt hat, wird vom Service-Personal zu Recht gemieden und läuft
Gefahr, seinen Tee in Zukunft zu Hause trinken zu müssen. Aber es gibt noch ein weiteres Spezifikum, das die radikalen Teetrinker kennzeichnet. Sie wohnen meist in
schlecht gelüfteten Zimmern mit Holzdecken und von Motten zerfressenen Teppichen, bei denen man beim Betreten derselben die Schuhe
ausziehen, auf dem Fußboden sitzen muss und vergilbte Wandposter von philosophierenden
Indianerhäuptlingen oder Che Guevara anstarrt. In eine solche Butze verirrt sich keine scharfe
Braut, schon gar nicht Heidi Klum (sofern man auf so etwas steht).
Teetrinker laufen Gefahr zu vereinsamen, weil sie ihren Besuchern kaum
zuhören. Sie sind überwiegend damit beschäftigt, ihre verbeulten Tee-Eier durch
den Kandis auf dem Tassenboden aufzulösen. Überhaupt sind sie andauernd mit
rituellen Tätigkeiten beschäftigt, ganz gleich, ob es um den Einsatz kleiner
Blechsiebe, Tröpfchenfänger, oder das Entzünden von Teelichtern oder
Räucherkerzen geht. Einen großen Teil ihres Lebens verbringen sie damit, den
Tee ziehen zu lassen; da bleibt kein Platz für Freundschaften, von heißen
Liebesnächten will ich erst gar nicht reden.
Wahre Freunde tragen T-Shirts mit der Aufschrift: "Tee ist kompliziert
und schmeckt scheiße!" Wir trinken regelmäßig Kaffee und rauchen ganz
viele Zigaretten. Gute Freunde sind immer Raucher. Nichtraucher sind
Spaßbremsen mit lustvernichtenden Themen, die überdies zu jeder Jahreszeit die
Fenster aufreißen und das Gesundheitsministerium zitieren, die Krebsraten herunterbeten
und Rauchbesuch auf den Balkon verbannen. Deshalb überrascht es sicher auch nicht, dass die meisten Raucher nicht an
Krebs sterben, sondern auf Balkonen erfrieren.
Militante Nichtraucher lassen sich aus lauter Eitelkeit zweimal pro Woche die Lunge röntgen und vertreiben sich die langen Winterabende mit eitlen Lungen-Dia-Shows. Gute Freunde aber haben widerstandfähige Lungen und husten sich morgens den Wolf. Nichtraucher dagegen bleiben Nicht-Freunde und sollten in ein kaltes, zugiges Abteil gesperrt werden. Zusammen mit Teetrinkern. Da können sie stundenlang die Fenster aufreißen, Tröpfchenfänger tauschen und sich gegenseitig bitten, nicht zu rauchen; außerdem gerät man nicht in Gefahr, sie versehentlich mit guten Freunden zu verwechseln.
Teetrinker und Nichtraucher wären als langweilige Ladenhüter verpönt,
würden in Kartons verpackt, in Garagen aufgestapelt und schließlich ganz
vergessen werden. Und nur an stillen Winternachmittagen, wenn man zufällig an
solchen Garagen vorbeikäme, würde man sie hören, wie sie mit ihren Tauchsiedern
hantieren. Man vernimmt das gedämpfte Klappern polierter Porzellantässchen,
hört Tee-Uhren rasseln und zieht kopfschüttelnd seiner Wege, trifft sich mit
guten Freunden, trinkt in einem Straßenlokal Kaffee, raucht Zigaretten, wartet
gemeinsam auf den Sommer und Mädels in Highheels und einladend kurzen
Röckchen...
So, und nun genehmige ich mir einen Espresso molto lungo! Mal schauen, was geht...!
Für eine Patenschaft mit einem monatlichen Betrag bin ich sehr dankbar. Selbst die kleinste Spende hilft mir, diesen völlig unabhängigen Blog stets aktuell, spannend und informativ zu halten.
Auch ein Klick auf einen der Werbebanner im Lesetext oder das Teilen in anderen Netzwerken (FB oder X) hilft mir bei der Arbeit und der Finanzierung meines Blogs.
Unicredit Santo Stefano
BIC/Swift: UNICRITM1892


Kommentare
Kommentar veröffentlichen
ich freue mich auf jeden Kommentar