Die Führer politischer Parteien erfinden stets die
richtigen Lügen für die eigene Wahrheit. Lindner, besser gesagt, sein Vize
Kubicki hat die Sondierung gesprengt. Und damit haben die Parteigegner einen
Sündenbock, den sie benötigen, um einerseits von der eigenen Unfähigkeit
abzulenken und sich andererseits selbst den Nimbus verantwortungsvoller
Verhandler zu verleihen. "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu
regieren", teilte Lindner lapidar mit, eine Metapher mit versteckter
Schuldzuweisung, während der CSU-Sprecher wenige Minuten zuvor noch meinte: Wir
kämpfen bis zum letzten Atemzug.
Die sorgsam gehütete Wahrheit dürfte sich ein wenig anders
anhören, auch wenn klar ist, dass einer immer der erste sein wird, dem die
Hutschnur reißt, und damit sinnentleerten Deals um Ideologien ein Ende setzt.
Fünf Wochen ergebnislose Sondierungen mit politischen Gegnern beweisen
hinreichend, dass es keine gemeinsame und schon gar keine tragfähigen
Grundlagen geben wird und auch nie gegeben hat, um einen Kanzler zu
inthronisieren. Der von der Jungen Union weidwund geschossene Seehofer war
hauptsächlich mit seiner Gesichtswahrungsstrategie beschäftigt, was wiederum
der FDP die Tränen in die Augen trieb und den Grünen hämische Schadenfreude
bescherte. Nun ja, was tut man nicht alles für die gute Unterhaltung seiner
Wähler.
Aber auch Özdemir und Goering-Eckart brachten die Gelben
und Schwarzen in Rage. Sie operierten in Sachen Familiennachzug und Umwelt mit
bagatellisierenden und klein gerechneten Zahlen, teilweise sogar mit
fiktionalen Berechnungen auf Basis von Nichtwissen, persönlicher Meinung und
theoretischen Annahmen, die mit Realitäten nichts zu tun haben. Kohlekraftwerke
können weg. Autos können weg. Grenzen können weg. Chemie kann auch weg.
Sicherheitsüberwachung sowieso weg. Wir brauchen in Deutschland mehr Umwelt für
unsere Flüchtlinge und deren Familien. Meiner Ansicht nach können die Grünen
auch weg, aber ich darf ja bei solchen Sondierungen nicht mitmachen. Nun ja, was
den Nachzug von Familien anginge, könnte man ja Konzessionen machen, auf dem
Gelände der diversen Abraumhalden würde für Wohncontainer genug Fläche frei.
Aber ob die dahin wollen…
Auch wenn alle Beteiligten im Brustton der Überzeugung
behaupten, sie hätten bis zum letzten Moment um Sachthemen gerungen und man sei
„beinahe so weit gewesen“, sollte man jedes öffentliche Statement mit größter
Vorsicht genießen. Ich glaube diesen mantrahaften Beteuerungen kaum ein Wort.
Sachthemen begründen und entwickeln sich immer aus Ideologien. Auf der anderen
Seite ist ebenso klar: Wer zu Kompromissen bereit sein will, weiß auch, dass er
sich ein Stück weit von eigenen Überzeugungen verabschieden muss. Der Grat ist
ein sehr schmaler - er trennt nämlich Selbstverrat von Schwäche, Kompetenz von
Unfähigkeit und Misstrauen von Glaubwürdigkeit. Bei den Grünen treffen
eindeutig letztere Merkmale zu: Schwach, unfähig und unglaubwürdig.
Glücklicherweise waren CSU/CDU nicht bereit, sich den
weltfremden, teilweise staatsgefährdenden Ideen und „getürkten
Flüchtlings-Zahlen“ der Grünen weiter anzunähern - aus Angst vor ihren Wählern,
versteht sich. Die FDP konnte weitgehend taktisch und ohne Querschläger
verhandeln, lediglich Kubicki sah man an, dass er extrem genervt war. Seine gebügelten
Hemden waren ausgegangen, auch ein schwerwiegender Grund, ungehalten sein. Aber
Mutti war ja mit der Wäsche rechtzeitig zur Stelle, was seinen Blick sofort
wieder schärfte. „Die wahren Blockierer sind im grünen Lager zu finden“, meinte
Kubicki in einem schnoddrigen Nebensatz. Stimmt, behaupte ich. Nun haben
Tofu-Anton, Kümmel-Cem und Ossa-Katrin ganz unfreiwillig dem Wähler einen
Dienst erwiesen, zumal die Gefahr groß war, dass jede Menge jobhungrige Böcke
die „Gartenarbeit“ verrichtet hätten.
Kritisch wurde es noch einmal, als Claudia Roth vor der
Nacht der langen Verhandlungen die Fotografenfront abschritt und den anwesenden
Journalisten ein neckisches Geheimnis lüftete. Auf die Frage, was sie so alles
in ihrer Tasche mit sich führe, antwortete sie: Zahnpaste, Schminke, Nachcremes
und ein Kissen. Ich möchte wetten, sie hatte auch ihr Negligee dabei. Zu gern
hätte ich mir den zarten Hauch des duftig-luftigen Nichts vorführen lassen.
Aber selbst diese Freude war mir bei all den anstrengenden Fernsehstunden nicht
vergönnt.
Während der fünfwöchigen Theateraufführungen hatten die
„Wasserstandsmelder“ der Parteien Hochkonjunktur. Es machte uns Zuschauer
atemlos, weil wir Tag für Tag teilhaben durften, wie Sondierungsgruppen in
Kompaniestärke antraten und nichts zustande brachten. Der vermehrte Konsum von
Häppchen allerdings nahm historische Dimensionen an. Trotz appetitlicher
Kanapees zeigte kein einziger Verhandler überzeugende Problemlösungskompetenz.
Am allerwenigstens die Kanzlerin. Impulse? Ideen? Visionen? Nichts von alledem.
Stattdessen alle kauten sie mit vollen Backen auf dicken Brocken. Insofern kann
man dankbar sein, dass Lindner dem Schauspiel ein Ende gesetzt hat.
Wie vorauszusehen, die größte Sprengkraft für die Parteien
lag bei den anliegenden Themen Migration und Umwelt. Von den mindestens ebenso
wichtigen Kapiteln wie Renten, Kinderarmut, Wohnungsnot, Bildungsfragen und
Arbeitsbedingungen in der Gesundheitspflege war von keinem der Parteiführer
irgendetwas „Herzhaftes“ zu hören. Für den Bürger auch ein Grund, aufzuatmen,
denn jetzt braucht er wenigstens nicht mehr hoffen, jetzt kann er gleich in
Lethargie versinken. Ich gebe mich jedenfalls nicht der Illusion hin, dass mit
oder ohne Jamaika die sozialpolitischen Themen mit Schwung und Verve
aufgegriffen werden.
Wie sagte die Kanzlerin gestern Nacht? „Nun muss man sehen,
wie es weitergeht.“ Würde ein Abteilungsleiter bei Lidl oder REWE einen solchen
Satz von sich geben, weil seine Mitarbeiter empört nach Hause gegangen wären,
würde das sein allerletzter Arbeitstag gewesen sein. Nun sage ich: Mal sehen,
wie es weitergeht. Ich befürchte, Angi wird uns noch ein Jahr erhalten bleiben.
Bei objektiver Bewertung der Situation, könnte man den Hausmeister bitten, die
Tür zum Bundestag abzusperren, in den nächsten 12 Monaten wird dort eh nicht
mehr gearbeitet.
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