Kaum hatte „Her Majesty“ ihren Sommerurlaub beendet,
stürzte sie sich mit maximaler Leidenschaft in die Arbeit. Einer ihrer
Programmpunkte war am vergangenen Dienstag der Bürgerdialog in Jena. Die
ausgewählten Bürger sollten ein möglichst großes Spektrum der Gesellschaft
abbilden.
Der unbedarfte Nachrichtenkonsument nimmt die
Ankündigung zur Kenntnis und überliest dabei nicht nur das unscheinbare
Wörtchen „ausgewählt“, er bemerkt auch nicht den Generalangriff auf die
Demokratie. Auch mit dem nicht näher konkretisierten Wort "Spektrum"
lässt sich so allerhand ableiten. Alters-, Wissens-, Bildungs- Meinungs- oder
auch Sozialspektrum lassen breiten Raum der Limitierung und mit ihr die Ausgrenzung
unliebsamer Systemkritiker.
Denn Deutungshoheit, Interpretation und Umsetzung des
unverfänglich klingenden Vorhabens lagen bei den Veranstaltern des
Mitteldeutschen Rundfunks und der Thüringischen Landeszeitung, deren Leitungen
bekanntermaßen eine gewisse Kanzleraffinität haben. Konkret ging es nicht um
die Antworten unserer Kanzlerin, sondern um eine inszenierte Chloroformierung
aufmüpfiger Landeskinder und anders denkender Unruhestifter.
Doch kommen wir zu dem oben erwähnten Wörtchen
„ausgewählt“, genauer gesagt zum Auswahlverfahren der Bürger, die bei der
Fragestunde mit den schönen Leitthemen Angela Merkel befragen durften.
Wie erleben Bürger Europa im Alltag?
Welche Rolle spielt Europa für Deutschland?
Wie sollte Europa in Zukunft aussehen?
Es überrascht nicht, dass ausgewiesene
„Merkel-Kritiker“ zuerst „ausgesiebt“ wurden. Schließlich kann es ja nicht
sein, Majestät Merkel mit unbequemen Fragen oder gar mit unsachlichen Vorwürfen
und heiklen Themen zu konfrontieren. Denn wie jeder weiß, ist Angela, was ihre
politische Weitsicht und ihre wegweisenden Entscheidungen angeht, über jeden
Zweifel erhaben. Insofern kann man per se auf Leute verzichten, die entweder
Misstrauen und Vorbehalte an den Tag legen oder gar klar denken.
Damit es nicht zu unangenehmen Überraschungen kommt,
wurden nach dem Ausleseverfahren zweistündige Workshops anberaumt, um die zur
Auswahl stehenden Teilnehmer auf die richtigen und korrekten Fragen
vorzubereiten. Trainiert wurden nicht nur freundlicher Umgangston, positive
Stimmung und unterwürfige Körperhaltung, sondern auch demutsvolle Intonation
der Auskunftssuchenden. Provokative Termini wie „Wirtschaftsflüchtling“,
„Sozialschmarotzer“, Asyltouristen oder „Neger“ standen selbstredend auf dem
Index verpönter Begriffe.
Keinesfalls durften Metaphern verwendet werden, die
abwertend oder gar aggressiv klingen, um ein eventuelles Unwohlsein der
Kanzlerin zu vermeiden. Beispielsweise war die Frage, weshalb ein deutsches
Gericht einen abgeschobenen Terroristen nach Deutschland auf Kosten der
Steuerzahler zurückholen will, verboten. Sie hätte vermutlich für den
unverschämt Fragenden zur sofortigen Deportation nach Niger oder Somalia geführt.
Auch Erkundigungen nach dem türkischen Sultan, der 3 Millionen prospektive
Sozialteilnehmer in seinem Land beherbergt, waren unerwünscht, auch wenn über
den geschickten Umweg einer Zahlung von deutschen Milliarden an die Türkei die
Flüchtlinge eben im Morgenland versorgt werden. Dagegen kamen Fragen nach der
Maut für PKW's gut an.
Dummerweise ging den Loyalitätsprüfern ein Maulwurf
durch die Lappen, der haarklein schilderte, auf welche Weise man interessierte
Gesprächsteilnehmer auf Herz und Nieren hinsichtlich Parteifreundlichkeit und
natürlich auf die Geisteshaltung hin durchleuchtete, schließlich ging es ja
nicht nur darum, von der Kanzlerin ehrliche Antworten zu erhalten. Es ging
insbesondere um eine harmonische Grundstimmung, mit der man dem TV-Konsumenten
nahebringen wollte, dass wir in Deutschland gut, sicher und gern leben, auch
wenn wir inzwischen von Migranten eingekesselt sind.
Da und dort blitzte dann doch eine moderat-kritische
Bemerkung auf. Die Frage einer Dame aus dem Publikum – eine zweifellos
exzellent „gebriefte“ Teilnehmerin, wie Frau Merkel persönlich Europa sehe,
beantwortete unsere „Queen of Tabelwaters“ zweigeteilt. „Als Politikerin
verbinde ich lange Nächte mit Europa“, sagte sie. Als Bürgerin hingegen ein
„großes Sicherheitsgefühl“ und den Komfort, Grenzen ohne Pass überschreiten zu
können. Ja, die Sache, in langen Nächten und ohne Pass Grenzen überschreiten zu
können, begrüßen mit ihr auch hunderttausende Ausreisewillige, die an
afrikanischen Ufern auf die Überfahrt mit Rettungsschiffen warten.
Ich gebe zu, unsere „Göttin der Gerechtigkeit“ hat
sich gut geschlagen, zumal sie kurz zuvor ihren Untertanen bereits mitgeteilt
hatte, dass das Schengen-Abkommen ohnehin nicht funktionsfähig sei. Damit ist
klar: Pässe werden auch in Zukunft nicht mehr benötigt. Irgendwie wird man das
Gefühl nicht los, dass die Politiker der Länder wie Polen, Österreich, Ungarn,
Slowenien, Kroatien oder Italien durchweg Idioten sind, die von gelebtem
Humanismus nichts verstehen und deshalb ihre Grenzen sichern. Nun ja, wer bei
Frau Merkel auf eine göttliche Eingebung wartet, ist schief gewickelt.
Zurück zu unseren Veranstaltern, die ganz nach dem
Motto verfahren: „Wess Brot ich ess‘, des Lied ich sing“ dürfen wir sicher
sein, dass die Regentin mithilfe unserer Mediengestalter in Talkshows,
Bürgerbefragungen und anderer Pseudoveranstaltungen weiterhin ermunternden
Zuspruch erhält und man sie in ihrem Elfenbeinturm mit ermutigenden Nachrichten
füttert. So geht merkelsche Demokratie. Mit bestellten Claqueuren lebt es sich
glücklicher, auch wenn man sie hinterher bezahlen muss.
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