Jeder Autofahrer weiß Bescheid, wenn er das Stichwort „Hobby-Rennradler“
liest, und jedem Leser tritt der Angstschweiß auf die Stirn, wenn er in einer
landschaftlich bevorzugten Region lebt und seine Oma beispielsweise samstags
bei schönem Wetter im benachbarten Unterschönmattenwag oder in Dietramszell zur
Kaffeefahrt abholen will.
Gleiches gilt natürlich auch für Mutti, die
ausnahmsweise mit dem SUV ihres gut verdienenden Gatten am Samstag so gegen 14
Uhr noch schnell zu Edeka muss, weil sie noch ein paar Kleinigkeiten für den
Grillabend benötigt. Ein halsbrecherisches Anliegen, wenn der Supermarkt in der
Nähe vom Tatzelwurm oder Gemsenried an einem kurvenreichen Sträßchen entlang
eines romantischen Waldrandes oder in einer Steilpassage mit zwei Spitzkehren
und schönen Aussichtslagen liegt. Denn dann müssen Mutti oder Rentner Erich,
der seinem Dackel an einem nahegelegenen Weiher ausführen möchte, mit dem
Schlimmsten rechnen.
Tassilo von Hirntot-Schöngeist, seines Zeichens
Großkundenberater bei der Commerzbank, frönt wie so viele seiner Kollegen mit
gut bezahlten Schreibtischjobs und wenig Freizeit einer Leidenschaft, die man
inzwischen getrost als Epidemie oder Wochenend-Heimsuchung bezeichnen kann.
Punkt 9 Uhr 17 zwängt sich Tassilo trotz erheblicher Leibesfülle unter
maximaler Anstrengung in den hautengen Tour-de-France-Rennanzug, der
zwar seine teigweiche Wohlstandswampe ein wenig kaschiert, zum Ausgleich aber
seine männlichen Preziosen besonders auffällig zur Geltung bringen. Kaum hat
sich der Manager in eine bunte Presswurst verwandelt, wird der Blick
zielgerichteter, sein vorgeschobenes Kinn entschlossener und wie durch ein
Wunder strömen überirdische Kräfte in dessen Oberschenkel. Jetzt ist er mental
vorbereitet.
Sodann streift er sich den aerodynamisch optimal
gestylten Fahrradhelm der Marke „Alpina Spezial“ über, schlüpft in die
Klick-Schuhe „Genius 7 Mega“, rückt die Rayban-Brille zurecht und zurrt sein
Rennrad auf dem Dachträger seiner Luxuskarrosse fest. Bestens präpariert
startet Tassilo im Bewusstsein, es mindestens mit den Profis des Hauptfeldes
einer international besetzten Radrenn-Veranstaltung aufnehmen zu können in
Richtung Tölzer Land, obwohl er objektiv gesehen, nicht einmal zu Fuß den
Nockerberg in München ohne Gesundheitsschäden bewältigen würde.
Dennoch - das Gefühl nachhaltiger Überlegenheit auf zwei Rädern steigt proportional mit dem Preis des Rennrades und des Outfits, was Fahrradhändler nicht nur ihren Kunden erfolgreich vermitteln, sondern auch zu schätzen wissen. Helmkamera, digitaler Pulsfrequenzmesser, binomär gesteuerter Hirnausfallmanometer mit Touchscreen und Instagram-Vernetzung sind unverzichtbare Begleiter für die kommenden Etappensiege. Fehlt nur noch die richtige Herausforderung.
Dennoch - das Gefühl nachhaltiger Überlegenheit auf zwei Rädern steigt proportional mit dem Preis des Rennrades und des Outfits, was Fahrradhändler nicht nur ihren Kunden erfolgreich vermitteln, sondern auch zu schätzen wissen. Helmkamera, digitaler Pulsfrequenzmesser, binomär gesteuerter Hirnausfallmanometer mit Touchscreen und Instagram-Vernetzung sind unverzichtbare Begleiter für die kommenden Etappensiege. Fehlt nur noch die richtige Herausforderung.
Um 13 Uhr 30 trifft Tassilo mit mindestens 7 Freunden
am Ausgangspunkt seines suizidalen Vorhabens ein. Die Rampe, die man
sich für heute vorgenommen hat, beinhaltet mindestens 19 Serpentinen mit
Steigungs- und Gefälle-Anteilen bis zu 22 Prozent. Das Sträßchen führt zum Teil
durch beschauliche Dörfer, in denen harmlose Einwohner leben und mit ihren
Corsas, Mazdas und Mitsubishi-Combis ihren täglichen Erledigungen nachgehen.
Selbstredend mischen sich unter die Legionen der unter Muskelschwund leidenden
Wochenend-Masochisten auch normal Ausflügler, die der erdrückenden Zumutung
hundsteurer Mietwohnungen entfliehen und am Samstag just zur gleichen Zeit auch
einmal eine grüne Wiese mit Butterblumen besichtigen wollen.
Während Tassilo aus dem Augenwinkel gleich nach der
zweiten Serpentine auf dem Fitnessarmband einen Puls von 180 wahrnimmt, und
wegen eines entkräfteten Schlenkers nach links beinahe vom entgegenkommenden
Rentner Erich mit seinem Honda Civic auf die Hörner genommen wurde, drohen die
nachfolgenden Kanarienvögel auf Rädern mit geballten Fäusten dem armen
Dackelbesitzer mit Prügel. Gleich danach rücken zwei Kumpels aus Gründen
gemeinsamer Motivation und unter Ausnutzung der gesamten Straßenbreite zum
Spitzenreiter Tassilo auf, um ihm für die nächsten 17 Serpentinen Mut zuzusprechen.
Derweil überholen sie eine weibliche Radfanatikerin,
die alleine für ihr Hinterteil mindestens 5 Sättel benötigen würde und deren
Waden den Bizepsumfang von Rocky um das Dreifache übertrifft. Dass die Dame,
deren Gesicht sich bedenklich dem fluoreszierenden Rot ihres Renndresses
angenähert hat, spätestens in Serpentine 4 ihr Leben auf dem Mittelstreifen der
Straße aushauchen wird, spielt für die Stadt-Schwachmaten eine untergeordnete
Rolle. Solche Opfer werden gerne in Kauf genommen, auch bei 33 Grad im Schatten.
Von hinten nähert sich Mutti, die sich nun sputen
muss, um vor Ladenschluss bei Edeka zwei Pfund Butter zu erstehen. Mit
Schmackes nimmt sie die engen Kurven, die unter der Woche nur von ein paar
einheimischen Bauern und ein paar Nachbarn frequentiert werden. Die Kavalkade
kunterbunter Sesselfurzer, die nach Feierabend oder auf Dienstfahrten normalerweise
gewohnt sind, dass man ihren 300 bis 500-PS-Boliden freiwillig Platz macht,
fahren zu dritt nebeneinander und wuchten unter Inkaufnahme eines Herzinfarktes
oder jähen Hirnschlages ihre Übergewichte in die Pedale. Mit einem Mittel von
7,3 Stundenkilometern nähern sie sich dem Schnittpunkt der Haarnadelkurve 3,
während von hinten Mutti mit Pappas SUV flüssig die Kurven nimmt und sich
sportlich an die nicht einsehbaren Spitzkehre heranarbeitet.
Was sie nicht weiß, ist die Tatsache, dass 7
lebensmüde Schwachköpfe mit den Ambitionen von Lance Armstrong und Jan Ullrich
ausgestattet, sich aufgrund körperlicher Erschöpfung bei 15 Prozent
Steigung ihrem Ende entgegen quälen. Aus Gründen der Kraftersparnis wird auch
gerne mal die Straße diagonal und in Schlangenlinien durchfahren, zumal es den
Thrill ins Unendliche steigert. Immerhin gibt es auch ambitionierte Motorradfahrer,
die es gerne kurvig mögen und extreme Schräglagen sowie maximale Fliehkräfte austesten.
Schwamm drüber, da hilft auch kein Red Bull mehr. Denn
gleichzeitig kommt aus entgegengesetzter Richtung ein ältlicher Schubidu mit
einem Achtzigtausend-Euro-Cabrio und 30 Jahre jüngerer Freundin in forscher
Geschwindigkeit den Berg herunter, während er lüstern und in froher Erwartung
am Knie seiner Begleitung fummelt. Man möchte ein Stoßgebet zum Himmel schicken
angesichts des sich anbahnenden Unglücks.
So oder so ähnlich kann ich inzwischen hundertfach
erzählen, zumal ich genau in einer solchen Region lebe. Münchner
Radsportfetischisten scheinen sich an Wochenenden vorgenommen zu haben, das
Isartal mitsamt der ländlich geprägten Voralpenregion mit ihren suizidalen
Neigungen zu terrorisieren. Und wenn sie es nicht mit ihren Zweirädern tun,
dann mit ihrem Outfit. Dutzende dieser Sport-Papageien fallen durstig in
Biergärten ein, indem sie ihre provozierenden Klöten wie eine Monstranz in
Sporthosen vor sich hertragen und das Publikum an ihrer Manneskraft teilhaben
lassen.
Und genau jene, gutverdienende Klientel, die sich
Räder und Outfit im Wert eines Kleinwagens anschaffen können und dann in
Kohortenstärke mit der Attitüde die Straßen okkupieren, als stünden sie
ausschließlich für ihre Freizeit zur Verfügung. Ein häufig auftretendes
Phänomen animiert mich zu folgender These. Je ausgeprägter die Wampe und je
enger das grellbunte Leibchen, desto ambitionierter das Ziel, die
oberbayerische Alpenstraße oder das Sudelfeld an einem Nachmittag abzufahren.
Und wehe, man kommt diesen Freizeit-Extremisten als Autofahrer in die Quere. Da
hilft kein Hinweis darauf, dass jene Zweirad-Anarchisten häufig Auslöser
schwerster Unfälle sind und sich ungesehen verpissen, sofern sie nicht selbst
unter der Karre liegen. Zumeist gehen maximale Rücksichtslosigkeit einher mit
dem Bewusstsein, als Radfahrer immer auch im Recht zu sein.
Da sitzt man gemütlich im lauschigen Biergarten und
verspeist einen Schweinsbraten mit Knödel und Endiviensalat, genießt mit jedem
Gabelstich ins delikate Schwein die grandiose Aussicht auf den Watzmann,
klackern 6 bis 12 kunterbunte Mettwürste in Richtung Nachbartisch. Mit
schweißnassen Haaren und durchweichen Hemden, verbreiten sie ein Aroma wie eine
Wildschweinherde und versauen einem selbst die beste Sauce. Ich frage mich, wer
in solchen Fällen eigentlich für meine körperliche Unversehrtheit garantiert. Angesichts
der Schweißorgie von nebenan traut man sich nicht einmal mehr, seinen
Apero-Spritz zu Ende zu trinken.
Direkt vor meiner Haustür liegt eines der schönsten
Barockklöster Oberbayerns. Man erreicht es über eine extrem schmale Straße, die
sich in engen Kurven und einem Gefälle von mehr als 15 Prozent hinunterwindet.
Für Autos sind dort 30 Stundenkilometer vorgeschrieben. Die Durchfahrt durchs
Kloster, das unten im Tal liegt, ist extrem gefährlich. Auf der einen Seite die
Schänke, auf der anderen Seite Kirche und Klosterbauten. Wie die Hornissen
rasen die kleingeistigen Möchtegern-Sportler mit nahezu 70 Sachen durch das
Anwesen, weil es gleich im Anschluss wieder steil nach oben geht. Fußgänger,
Ausflugsgruppen, Klosterbesucher, genauer gesagt, Gesocks zu Fuß, die haben
gefälligst die Augen aufzumachen.
Kein Polizist hält diese Idioten auf, aber wehe, man
überschreitet mit dem Auto die 30-Kilometermarke. So scheint sich das
Bewusstsein der Fahrrad-Terroristen allzu häufig zu bestätigen. Wer auf einem
Drahtesel sitzt, der hat Recht. Wenn Tassilo, der Kamikaze-Radler, unterwegs
keinem Unfall zu Opfer gefallen ist oder seinen Schwächeanfall überlebt und
wieder in seinen Boliden gestiegen ist, erwirbt er automatisch wieder das Recht
des Stärkeren – sozial wie PS-gestärkt. Solchen Rabauken auf Rädern kann man
nur noch Hirninsuffizienz bescheinigen.
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