Sobald man einen Bioladen betritt, überkommt den Normalkonsumenten eine seltsame Beklommenheit. Eben noch munter und guter Dinge, befindet man sich schlagartig in einem Paralleluniversum, von dem man nur eins weiß: Hier hast du keine Freunde, hier bist du als eingefleischter REWE- oder LIDL-Kunde allein.
Ich würde trotz mäßiger Bio-Erfahrung behaupten: Selbst regelmäßige Besuche in den Gotteshäusern der militanten Gesundheit helfen bei der Planung für ein längeres Leben objektiv nicht wesentlich weiter. Auch was das Sortiment angeht, will einfach keine Gewöhnung eintreten. Das Fremdeln mit Produkten, von denen man zuvor niemals etwas gehört hat, das bleibt. Leberwurst, Schmelzkäse, Tiefkühlpizza oder auch Erdnusschips, also Waren, von denen sich gewöhnlich ein gesunder und lebensfreudiger Mensch ernährt, sind hier ein Sakrileg.
Jeder, der zum ersten Mal im Leben einen Bioladen betritt, bemerkt es sofort. In der Luft liegt der staubige, leicht muffige, zuweilen auch ins Faulige spielende Modergeruch. Das Bouquet alter Kartoffelerde würde das dominierende Odeur in solchen Läden ziemlich treffend beschreiben. Man ist umgeben von einer Art sakralen Gesundheitsstimmung, der die eher banale Verrichtung eines Einkaufs zu einem Akt höheren Bewusstseins erhebt. Hinzu kommt das reflexartige Misstrauen der angestellten Gesundheitsapostel gegenüber herkömmlichen Bürgern wie mich. Die Mienen des zumeist anämisch wirkenden Personals signalisieren mir, dass es ihren Reisschleim, die Tofu-Wurst, die Hafermilch oder die linksdrehenden Jogurt-Produkte ausschließlich zum Zweck der Verlängerungen und Verbesserung des allgemeinen Lebensgefühls, am liebsten an Kenner und Insider verkaufen.
Der modisch-sportlich gekleidete Zeitgenosse fällt deshalb sofort unangenehm auf. Er ist sozusagen der Fleisch gewordene Fremdkörper in einer fremden Welt. Die musternden Blicke der Harcore-Kundschaft und des gesundheitsmilitanten Personals lassen das Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertsein aufkommen. Man wird sozusagen mit Blicken durchleuchtet, an denen selbst Herr Röntgen seine Freude gehabt haben würde. Es sind diese „Der-liebe-Gott-sieht-alles-Blicke“, die jeden neuen Kunden scannen, einordnen und in Schubladen ablegen, besonders, wenn man sonnengebräunt und gutgelaunt daherkommt: „Ach…! Du willst hier also einkaufen? Kannst du dir das leisten? Bist du ökologisch-biologisch qualifiziert? Und gehörst du dazu? Zu uns?“
Taxierenden Blicke Birkenstock tragender Lebensformen, der Gattung besser verdienender Bürger aus dem grünen Milieu zugehörend, identifizieren herkömmliche Aldi-Kunden mit ihrem untrüglichen Sinn für außerirdische Klimaschädlinge, die ohne Rücksicht auf Verluste Tütensuppen kaufen würden. Mit durchdringendem Blick ordnen dich vegetarisch verdorbene Edelveganer, in geräumigen handgestrickten Pullis und dunkelgrüngrauen Kniestrümpfen eingehüllt, nach der Herkunft deines Outfits ein, die dich auf der Stelle als Liebhaber ökologisch angebauten Grünkohls disqualifiziert.
Abweisende Mienen verraten dir: Du siehst nicht aus, als ob du dich richtig ernährst. Zwangsläufig schaut man an sich herunter, selbstkritisch und selbst hinterfragend. Jetzt fällt es mir wie Schuppen vor die Augen: Ich gehöre zur Gattung Schweineschnitzel, Rinderbraten und Kalbsleberwurstkonsument, man sieht mir das schon von weitem an. Daher ist ein Bioladen per se Feindesland und es erfordert Mut, einen interessiert-entschlossenen Blick auf das Warensortiment zu werfen.
An Orten gelebter Wokeness und Nachhaltigkeit, zwischen Schrotmühlen, Löwenzahnsalat und Sojamilch sind vor allem die ehern geltenden Charakteristika der erwarteten Kleiderordnung gefragt, die mich schonungslos als Aussätzigen bloßstellen. Hier sind weite Beinkleider in trister Farblosigkeit aus authentisch verknitterndem Grobleinen angesagt, kombiniert mit schlabbernden geschlechts- und körperformneutralen Oberteilen, ebenfalls aus unverkennbar handgewirkten Naturfasern. Zwingend notwendige sind Accessoires wie Tragbehältnisse aus gewirktem Sackleinen oder Weidekörbe, die in der Regel schon seit einem halben Jahrhundert in Gebrauch sind. Nichts dergleichen konnte ich vorweisen. Spontan zerknülle ich meine mitgebrachte Plastiktüte und lasse sie in meiner Hosentasche verschwinden.
Einkaufen im Bioladen ist wie Kommunions- oder Konfirmationsunterricht unter erschwerten Bedingungen. Man fühlt sich von anwesenden Stammkunden permanent ertappt und von Ablehnung verfolgt. Rein optisch betrachtet handelt es sich zumeist um Repräsentanten hartnäckiger Fortpflanzungsverweigerer, die sich in ihrer Freizeit aus Klimagründen auf Straßen festkleben. Anschließend kaufen sie ein, diese Empörungsfetischisten, um sich für das nächste Umweltevent zu stärken.
So überrascht es nicht, wenn man sich als Normalo unmittelbar nach Betreten eines Bioladens als Eindringling fühlt. Man atmet tief durch und stellt konstatiert: Der alternative Einkaufstempel müffelt auch nach staubigen Regalen, spröder Humorlosigkeit, geschrotetem Getreide und Bärlauch-Gemüse. Man befindet sich sozusagen im Zentrum der Ursuppe grüner Evolution.
Beim Personal handelt es sich grundsätzlich um unzufrieden wirkende, übellaunige Mitbürger, zumeist geschlechtsneutrale Daseinsformen, die eine Aura sauertöpfischer Verkniffenheit umgibt. Es empfiehlt sich daher, keine Diskussionen über die Qualität und Aussehen des ungespritzten Obstes zu diskutieren. Selbst die Zeugen Jehovas verströmen weit mehr Hedonismus und Daseinsfreude als die woken Gesundheitsjünger an der Kasse. Überwiegend Teetrinker – möchte ich hier hinzufügen.
Eilig
schnappt man das für unsereiner das Notwendigste, um sich zu ernähren und flieht
sodann ins Freie. Durchatmen, wie früher nach dem Kirchgang, raus in die Welt,
die zwar voller Schrecknisse, aber verglichen mit einem Bioladen immer noch ein
Ort des Trostes ist. Draußen atme ich befreit auf und entdecke einen Obdachlosen
mit einem Plastikbecher. Er sitzt auf einer Pappe und trinkt schon am Morgen
sein Bier. Ich gebe ihm spontan zwei Euro, denn er ist ein Verbündeter!
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