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Arithmetische Gesichtswahrung

Nun haben wir sie also, die „Lose-Lose-Einigung“. Im politischen Sandkasten hat Seehofer etwas mehr in seinem Eimerchen und Angela kann mit ihren bunten Förmchen etwas größere Sandkuchen backen. Und nein, Obergrenze darf Seehofer die Einigung nicht nennen, er darf Kontingent oder Richtwert sagen. Alles andere ist bäh und Horst läuft Gefahr, dass ihm klein Angela ihr Schäufelchen übers Hirn zieht. Nur gut, dass Katrinchen mit dem grünen Kleidchen nicht hat mitspielen dürfen.




Lange Rede, kurzer Sinn. Zweihunderttausend dürfen rein, Fünfhunderttausend können, dürfen oder wollen nicht mehr raus. Aber was erst einmal gesichtswahrend klingt, ist in Wahrheit ein Sandkasten ohne Sand. Der offizielle Wortlaut aus dem Berliner Kindergarten: „Wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen (Flüchtlinge und Asylbewerber, subsidiär Geschützte, Familiennachzug, Relocation und Resettlement, abzüglich Rückführungen und freiwillige Ausreisen künftiger Flüchtlinge) die Zahl von 200.000 Menschen im Jahr nicht übersteigt.“

Aha, denkt sich der Bürger, sofern er die Konsequenzen und die Wahrscheinlichkeit der Realisierung überreißt, was ich mir offen gestanden bei mehr als 60% unserer bildungsfernen Bürger kaum vorstellen kann. Und dann denkt er noch einmal nach – der Bürger - hoffentlich. Und wenn er zu Ende gedacht hat, dann schüttelt er nur noch den Kopf. Der kann nämlich nicht zwischen einem subsidiären Kaftan und einem humanitären Kopftuch unterscheiden. Auch nicht zwischen einem Relocation-Anwärter und einem Resettler in Spe. Er kann nur erkennen, dass jede Menge humanitätsbegünstigte Familienmitglieder nach Deutschland kommen und die Sozialkassen belasten.

Wer da glaubt, das war es jetzt, der irrt. Es kommt noch besser. Wie heißt es im Pressetext so geschmeidig? „Sollte das oben genannte Ziel wider Erwarten durch internationale oder nationale Entwicklungen nicht eingehalten werden, werden die Bundesregierung und der Bundestag geeignete Anpassungen des Ziels nach unten oder oben beschließen.“ Alle Wetter! Geeignete Anpassung, also. Obergrenze ohne Obergrenze, da fühlt sich selbst ein Idiot noch veralbert.

Wieder einmal haben zwei große Parteien nach heftigem Ringen und tumultartigen Auseinandersetzungen eine Idee entwickelt, die man jederzeit mit dem Brustton maximaler überzeugender Überzeugung in alle Richtungen so sehr dehnen und verformen kann, dass vom Sinn einer Begrenzung nicht einmal mehr eine Kontur übrig bleibt. Was hat man anderes erwartet? Unsere Politelite hat in den letzten zehn Jahren kein Profil gezeigt, so darf es auch nicht verwundern, dass sie auch in Zukunft sowohl beim Denken als auch beim Handeln keine Konturen an den Tag legen. Es beruhigt mich ungeheuer, dass kompetente Politiker für ihre unterentwickelten Bürger entscheiden, was eine geeignete Anpassung an die Obergrenze ist.

Spannend dürfte es werden, wenn die Frage auftaucht, welche Ministerien zusätzlich gebraucht werden, um die Volkszählungen bei unseren „Besuchern“ durchzuführen und sie in Kategorien einteilt. Kennt das Amt für Re-Settlement die Quote für die Aufnahme, wenn im Amt für Re-Lokation zehntausende unbearbeiteter Fälle liegen und gleichzeitig beim BAMF 90% der einzuordnenden Migranten keine Pässe haben? Ohne Identität keine Zuordnung. Schließlich muss bei unserer deutschen Gründlichkeit alles seine Ordnung haben! Oder läuft das etwa so wie im Falle Amri? Nichts Genaues weiß man nicht. Noch aufregender werden die Nachrichten unsere Presse sein, wenn ein unerwünschter Flüchtling eine schwere Straftat begeht. Mutiert er vorsorglich zum subsidiären Migranten mit traumatisch bedingter Psychose, um den Volkszorn zu vermeiden? Und kommt dann eine humanitäre Gerichtsverhandlung in Betracht?

Ich will ja nicht ungerecht sein. Immerhin hat man eine atemberaubende Interpretation und eine erstaunliche Sprachregelung des „status quo“ gefunden. Für schlüssige Argumentationen dieser innovativen Gesichtswahrung wird uns verkündet, dass Fluchtursachenbekämpfung, Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens, der Schutz der EU-Außengrenzen, die EU-weite gemeinsame Durchführung von Asylverfahren an Außengrenzen sowie gemeinsame Rückführungen das Herzstück der Neuausrichtung sein soll.

Alle Wetter, kann ich da nur sagen. Bislang war ich der Meinung, Wiederkäuer haben vier Beine, liegen auf der Wiese, fressen Gras und geben Milch. Was unsere politischen Koryphäen seit über zwei Jahren in sämtlichen Talkshows diskutieren, in jedem Medium verbreiten und über alle verfügbaren Mikrophone fordern, tischen sie uns heute als bahnbrechende Lösung auf. Ich wünschte, ich wäre wieder Fünf und säße wieder im Sandkasten, dann könnte ich wenigstens den anderen mein Eimerchen um die Ohren hauen.


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