Das Absperrband auf dem Campingplatz „Eichwald“ in
Lügde, das rund um die heruntergekommene Bruchbude des Kinderschänders Andreas
V. gespannt ist, flattert immer noch wie ein rotweises Wundmal im Wind. Es soll
neugierige Voyeure und sensationsgeifernde Besucher von der abgefuckten Baracke
fernhalten, in der wehrlose Kinder zwischen 3 und 16 Jahren die Hölle auf Erden
durchleben mussten.
Die Tatsache alleine, dass mindestens 1000 Fälle
schweren sexuellen Missbrauchs von dem Dauercamper Andreas V, seinem Komplizen Mario
S. und weiteren Kumpanen von hier aus organisiert, arrangiert und durchgeführt wurden,
ist unfassbar genug. Noch unbegreiflicher jedoch sind Ermittlungsdramaturgie
und Behördenversagen rund um die beteiligten Polizeidienststellen und Jugendämter. Jetzt stellte sich heraus, dass ein Sonderermittler "Eichwald" selbst ein verurteilter Konsument von Kinderpornographie ist.
In der Behausung von Andreas V. auf dem Campingplatz
von Lügde, in der er seit mehr als 20 Jahren als Dauercamper lebte, fanden die
Ermittler bei der ersten „Durchsuchung“ Datenträger kinderpornographischer
Fotos und Filme in der Größenordnung von kaum vorstellbaren 14 Terrabyte, ein
Fotostativ, positioniert in Richtung eines Sofas. Das ging aus einem
vertraulichen Bericht des nordrhein-westfälischen Innenministers Hubert Reul an
den Innenausschuss des Landtages hervor. Doch das war nur unerklärliche der
Anfang eines traurigen Treppenwitzes der Geschichte.
Nicht nur, dass aus der Asservatenkammer und „unter
dem Hintern“ von inkompetenten Kriminalisten ein silberner Koffer mit etwa 155
CD’s entwendet wurden, sie bleiben auch noch bis heute verschwunden. Wendet man
sich der Chronologie des Falles zu, kommt beim Bürger akuter Brechreiz auf. Denn
schon seit 2008 soll es Hinweise und Verdachtsmomente gegeben haben, dass der
Haupttäter Kinder missbrauchte.
Im August 2016, also erst 8 Jahre später, gab ein Vater
der vielen Opfer signifikante Hinweise und wendete sich an die Polizei, das
Jugendamt und den Kinderschutzbund. Weder die damit befassten Polizeibeamten
noch das Jugendamt informierten die Staatsanwaltschaft.
Im November 2016 werden weitere Hinweise im Jobcenter
Blomberg bekannt, die den Verdacht an die Polizei weiterreichen. Doch die
kümmert sich nicht weiter, sondern informiert lediglich das Jugendamt. Ob die
Hinweise im Jugendamt geprüft worden seien, kann der Landrat Tjark Bartels (SPD)
nicht sagen.
Ganze drei Besuche haben die verantwortlichen
„Sachbearbeiter“ dem Kinderschänder abgestattet und scheinbar alles in Ordnung
gefunden. Doch nun kommt die Sache richtig ins Rutschen. Die Staatsanwaltschaft
Detmold ermittelt nun gegen mehrere Mitarbeiter der Jugendämter. Denn seit 2016
gab es schwerwiegende Hinweise, dass auf dem Campingplatz irgendetwas nicht in
Ordnung sein kann.
Bei einem
Hausbesuch im Januar 2017 habe es keine Anhaltspunkte gegeben, die gegen ihn
gesprochen hätten. Auch die Wohnverhältnisse auf dem Campingplatz beanstandete
das Jugendamt nicht. Angesichts solcher Aussagen greift sich jeder normal denkende
Mensch fassungslos an den Kopf.
Erst im November
2018
erfolgt nach einem weiteren Hinweis die Verhaftung des Hauptverdächtigen. Der
56-jährige Arbeitslose sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Im Januar nimmt
die Polizei zwei weitere Verdächtige fest. Ein 33-Jähriger aus Steinheim soll
am Missbrauch direkt beteiligt gewesen sein. Im Wechsel mit V. soll
er gefilmt und Kinder missbraucht haben. Ein 48-Jähriger aus Stade in Niedersachsen soll
Material bestellt und per Videoübertragung Missbrauch beobachtet haben.
Am 30. Januar 2019 schalten sich
weitere Dienststellen ein. Die zuständige Polizei in Lippe sowie die
Staatsanwaltschaft Detmold informieren die Öffentlichkeit über den
tausendfachen Missbrauch von Kindern. Wegen der Dimension des Falles wird die
weiteren Ermittlungen an die Polizei Bielefeld übergeben.
Der Fall erschütterte selbst erfahrene Ermittler.
"Bei der Auswertung der sichergestellten Beweismittel und bei den
Anhörungen der Kinder kamen perfide Einzelheiten zu Tage", sagt Gunnar
Weiß in der Pressekonferenz, Leiter der Ermittlungsgruppe
"Campingplatz". Heute wissen wir, dass auch seinen Worten kaum noch
Glauben geschenkt werden darf. Denn wie kann es sein, dass ein leitender
Kriminalbeamter von „Auswertung“ spricht, wenn bis heute nur drei CD’s „ eine
grobe „Sichtung“ erfahren haben.
Anfang Februar
2019
ermittelt die Staatsanwaltschaft auch gegen Beamte. „Wir prüfen jetzt“, so
heißt es, „ob die Polizei nicht weitere Schritte hätte einleiten müssen.“
Am 19 Februar stellt das
Jugendamt Hameln Mitarbeiter frei, die offenkundig und trotz vorliegender
Verdachtsmomente Andreas V. als Pflegevater eingesetzt hatte.
Am 21 Februar 2019 verschwinden auf
wundersame Weise aus der Polizeibehörde Datenträger und wertvolle Beweismittel.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) räumt ein, dass insgesamt 155
Datenträger Beweismaterial, die in dem Bretterverschlag von Andreas V. sichergestellt
wurden, seit Wochen verschwunden seien.
Am 22 Februar wird ein
leitender Beamter der Polizei entlassen. Eklatante „Fehlleistungen“ des Chefs
der zuständigen „Direktion K“ hätten Landrat Axel Lehmann (SPD) zu diesem
Schritt gezwungen.
Im Laufe des Februars haben weitere Durchsuchungen in
der Hütte des Hauptangeklagten stattgefunden. Dieses Mal mit Spürhunden. Beinahe
könnte man sagen: Oh Wunder, die Vierbeiner spürten weiteres Datenmaterial auf,
darunter auch ein Datenstick, der angeblich in einer Sesselritze versteckt war.
Der Kreis der Verdächtigen hat sich inzwischen auf
sechs erweitert. Neben den drei Hauptverdächtige in Untersuchungshaft wurde
gegen einen Beschuldigten ein Verfahren wegen Verdachts der Strafvereitelung
eingeleitet, wie NRW-Innenminister Herbert Reul im Innenausschuss des Landtags
erklärte. Die Person steht im dringenden Tatverdacht, Daten manipuliert zu
haben.
Darüber hinaus liegt derzeit gegen zwei weitere
Personen ein Tatverdacht vor, sagte Reul. In diesen beiden Fällen geht es um
Beihilfe, nicht um Mittäterschaft.
Der ganze Fall gipfelt nun darin, dass ein
eingesetzter Sonderermittler der Polizei Lippe selbst schon wegen Beschaffung
kinderpornographischer Bilder vorbestraft ist. er Beamte arbeitet in der
Polizeibehörde, die zunächst mit den Untersuchungen zu der Missbrauchsserie in
Lügde betraut war. Die Sonderkommission stieß bei den Nachforschungen auf
zwei weitere Beamte in Lippe, die in der Vergangenheit negativ wegen des Verdachts
wegen des gleichen Vorwurfs aufgefallen waren. Wundert es dann, wenn plötzlich
Beweismittel und Asservate aus der Polizeibehörde verschwinden?
Ein Ministeriumssprecher bestätigte der Deutschen
Presse-Agentur, dass die Beamten weiter im Dienst seien. Allerdings soll sie
nicht in die Untersuchungen zum Missbrauchsfall in Lügde oder andere
Ermittlungen eingebunden sein.
Es muss die Frage erlaubt sein, wie hoch angesiedelt
die Interessen sein müssen, die möglicherweise bei diesem handfesten Beamten
und Polizeiskandal ihre Hände reinwaschen wollen, sie alles tun, um zu
verhindern, selbst in die Schusslinie zu geraten. Wen wundert es, dass das
vertrauen in Politik, Ämter und Polizei vollständig verloren gegangen ist.
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