Söders Brachialpolitik suchte noch vor wenigen Monaten seinesgleichen. Erklärte er vor seiner Wahlniederlage breitbeinig und kraftstrotzend sämtliche Impfverweigerer, Kritiker und Zweifler für gewaltbereite Idioten und rechte Spinner, klingen seine aktuellen Statements wie die eines jäh kastrierten Machos.
Wie ein devotes Hündchen, das sich schuldbewusst hinterm Sofa versteckt, weil er die Bettwäsche im Schlafzimmer zerfetzt hat, fürchtet er jetzt mit eingezogenem Schwanz den Zorn seiner Wählerumgebung. Aber, was bitte, soll man von einem Menschen halten, der plötzlich mit dem Habitus eines verständnisvollen Landesvaters genau das Gegenteil dessen vertritt, was er vor wenigen Monaten in sämtlichen Fernsehkanälen noch für völlig abwegig erklärte?
„Wir müssen versuchen, in diesem Jahr neben dem strammen Verkünden von Maßnahmen und ständig neuem Übereilen von Konzepten auch drüber nachdenken, wie wir die Gesellschaft wieder heilen und versöhnen können“, so seine gestrige Einlassung. Ist der Mann völlig von Sinnen? Oder backt er plötzlich nur kleine Brötchen? Welch ein jämmerliches Bild liefert er ab, wenn er offenkundig und unüberhörbar seine politischen Überzeugungen von vorgestern einfach über Bord wirft? Nun ja, immerhin kann es ja sein, dass keiner mehr seine Überzeugungen braucht.
„Wir haben die Situation, dass wir möglicherweise die letzte, die vierte Welle in Bayern gut überstanden haben. „Viele Menschen“, so Söder weiter, seien schlicht und einfach verunsichert, genervt, müde und gestresst, „für die brauchen wir auch ein Angebot auf Dauer zu Gespräch, zu Miteinander. Und wie gesagt, wir müssen schauen, dass wir die Gesellschaft am Ende auch wieder heilen und versöhnen.“ Da kratzt sich der strammen Kehrtwendung des Ministerpräsidenten wegen nicht nur der herkömmliche Bayer verwirrt am Hinterkopf.
Auch jenseits des Weißwurscht-Äquators reibt man sich die Augen, steckte der Vorzeige-Bayer noch Ende August bis zu den Hüften im Enddarm unserer Kanzlerin. Und dort gab er sich, in wohliger Wärme und der Erwartung hin, bald ihr Nachfolger zu werden. Als übereifriger Stichwortgeber und Erziehungsberechtigter aller Deutschen schritt er im preußischen Stechschritt voran. Keine Maßnahme war ihm hart genug, kein Vokabular zu martialisch, wenn es um die Niederschlagung aufmüpfiger Querdenker und die nachhaltige Ausrottung der Mutanten ging, um als politischer Klassenbester vor Mutti zu glänzen. Da wurde so ziemlich jeder, der impfverweigernd aufmuckte, von ihm verbal oder polizeilich in seine Schranken verwiesen.
Wie wir heute wissen, wurde aus dem Kanzlersessel nichts - dem Herr sei's gedankt. Am liebsten hätte Markus der Starke die Gesellschaft in mehrere Teile sequenziert. In Ungeimpfte, einmal Geimpfte, doppelt Geimpfte, Geboosterte und Genesene. Nun ist aber Mutti sang und klanglos verduftet und übrig blieb ein enteierter Markus. Sozusagen von der Realität eingeholt. Nicht einmal Omikron kann dem bayerischen Hohepriester maximaler Freiheitseinschränkungen und drakonischer Polizei-Einsätze bei seinen weiteren Sequenzierung noch Freude bereiten.
Jetzt, nachdem es ziemlich ruhig um ihn und seine markigen Hinterlassenschaften geworden ist, scheint er sich etwas Neues überlegt zu haben, zumal seine Anhängerschaft sich auch klammheimlich verkrümelt. Nachdem sich auf bayerischen Straßen und sogar vor seiner Münchner Staatskanzlei immer mehr Impfunwillige und klar denkende Freiheitsliebende laut skandierend formieren, weil sie es satt haben, von Söders Restriktionspolitik weiter unterdrückt zu werden, ist die Zeit wohl reif, die politische Fahne neu auszurichten.
Nun könnte man sagen: Nun ja, so sind sie eben, die beinharten Politiker, deren Hälse durchweg mit Drehgewinde ausgestattet sind, um jederzeit den eigenen Kopf um 180 Grad in eine Erfolg versprechende Richtung wenden zu können. Gesinnung und Überzeugung spielen dabei keine Rolle. Noch im Oktober sprach sich der bayerische Wendehals für eine Impfpflicht als einzige Lösung aus. Für schärfere Maßnahmen gäbe es keine Alternativen, so tönte er in den Tagesthemen. Und jetzt? Jetzt will er sich versöhnen.
Markus
Söder will dieses Mal mit „weich gespülten Wattebällchen in die Ministerkonferenz
gehen, ohne seinen Ruf als gnadenloser Bayern-Rambo einzubüßen. Bei seinem nun mindestens dritten Sinneswandel stellt der Ministerpräsident die Forderungen nach einer Impfpflicht in Frage, indem er seinen Kollegen gleichzeitig vorwirft, nicht weit genug mit den Schutzmaßnahmen zu gehen. Eine
Forderung, die ihm - , man könnte fast sagen, ihm eine irreale Alleinstellung sichert. Mit seiner
Haltung könnte Pirouetten-Söder sogar dem berüchtigten "Drehhofer" Konkurrenz
machen.
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