Ich möchte vorausschicken, ich habe einen gesegneten Schlaf. Jahrelange Gewöhnung an die rauschende Brandung unterhalb meiner Terrasse, das Gekreische der Möwen oder nächtliches Grillen der Zikaden, all das stört mich beim Einschlafen nicht im Geringsten.
Doch kaum bin ich auf Reisen und muss in fremden Betten schlafen, scheinen meine Ohren ein Eigenleben zu führen und nehmen jedes fremde Geräusch wahr. In toskanischen Dörfern pflegen streunende Hunde Stunde um Stunde den bleichen Mond anzuheulen oder antworten sich gegenseitig über die Gärten. Ist das erledigt, herrscht eine knappe Stunde Ruhe, dann werden die Vierbeiner von irgendwelchen Nachtfaltern geweckt und verjagen sie durch wütendes Bellen. In der Maremma stoßen nächtens balzende Pfauen, sich in Liebe verzehrend, herzzerreißende Laute aus.
Schließt man entnervt das Hotelfenster, bringen schnarrende
Klimaanlagen, brummende Kühlschränke oder singende Landsleute den Fremden um
den Schlaf. Und wenn es das nicht ist, dann schreckt der Reisende kurz vor dem
Einschlafen jählings auf, weil entweder lustvolles Kampfgetümmel eines Pärchens
im Nachbarzimmer meine voyeuristischen Sinne schärft oder das helle Sirren
blutrünstiger Stechfliegen die Nerven blank legt.
Seit letzter Woche ist etwas Neues hinzugekommen. Ich folgte der Einladung
eines Freundes. Er besitzt eine feudale Masseria auf dem Land, unweit des
tyrrhenischen Meers. Sie liegt auf einer kegelartigen Anhöhe, umgeben von
Bougainvilleen, Hibiskus und Oleander. Ein üppiges Blütenmeer rankt sich
entlang der bröckelnden Fassade, wuchert über Simse und Traufen bis hinauf zum
Dach.
Farben und Düfte verbinden sich in betörender
Triebhaftigkeit. Der ockerfarbene Kalkstein des Hauses, die verwitterten
Schindeln und die über hundert Jahre alten Blumenamphoren neben dem Eingang
geben dem Landgut eine gediegen-rustikale Note. Ich befinde mich in einem
inspirierenden Refugium von entspannender Ruhe und friedvoller Harmonie.
Mein Gästezimmer liegt über der lang gezogenen Terrasse, die mit dicht belaubten
Weinranken überwölbt ist und in der Mittagshitze angenehmen Schatten spendet.
Es wird Abend. Ich öffne das Balkonfenster, lasse die frische Meeresluft herein
und beobachte vom Bett den glutroten Sonnenball, der in Minutenschnelle ins
Meer eintaucht. Dann schmökere ich ein paar Seiten in meinem Lieblingsbuch und
sinke nach wenigen Minuten ins Kissen. Ah...! Ruhe…!
Ich reiße die Augen auf und lausche. Ein Geräusch! Es klingt, als würde ein
Kleinkind eine zerdrückte Banane mampfen und gleichzeitig ein Biber einen Stamm
zerlegen. Schmatzend, nagend. Ich höre mir ein paar Takte an und schalte das
Licht an. Geräusch weg…! Licht aus - Geräusch da…! Wieder dieses schmatzende
Nagen! Licht an – Ruhe…! Ich krabbele aus dem Bett und suche die Maus. Und
während ich alle Winkel und Fußleisten überprüfe, wird mir klar: Mäuse
schmatzen nicht und Babys, die nachts Bananen essen, werden in Hotelzimmern
selten vergessen. Ich werfe mich ins Bett, lasse die Nachttischlampe an und
drehe mich zur Seite.
Himmlische Ruhe. Kein Schmatzen und kein Nagen. Ließe ich Deckenleuchte und
Nachttischlampen brennen, könnte ich vielleicht schlafen, überlege ich.
Sinnlos! Es ist zu hell. Außerdem locke ich damit Stechmücken ins Zimmer. Den
Kopf unters Kissen zu klemmen nutzt nur so lange, bis ich wieder Luft holen
muss. Ich überlege, welches Getier in Frage kommen könnte, das meinen
erholsamen Schlaf stört. Katzen schmatzen, wenn sie fressen, Igel auch.
Erdmännchen hingegen knabbern.
Wieder wälze ich mich aus dem Bett, krieche bäuchlings über den Boden, finde
aber nichts. Langsam werde ich ärgerlich. Ärger macht mich im allgemeinen
analytisch, so auch in diesem Fall. Im Geiste versuche ich, Tierarten in
Gattungen einzuteilen und sie über Ausschlussverfahren von Tages- und
Nachtfresszeiten einzukreisen. Es gibt Insektenfresser, Fledermäuse und
Nagetiere. Huftiere und Raubkatzen kann ich wegen ihrer Größe mit Bestimmtheit
ausschließen. Bieber, Siebenschläfer und Murmeltiere, sämtliche der Gattung
Nager zugehörend, kommen ebenfalls nicht in Frage. Außerdem mögen sie allesamt
keine Hotelzimmer. Hamster und Eichhörnchen scheiden auch aus, die schlafen ab
20 Uhr spätestens. Bleiben die Schmatzer, von denen ich jedoch zuvor nie etwas
gehört hatte. So komme ich nicht weiter denke ich und versuche mich zu
konzentrieren.
Wieder lausche ich. Das Geräusch kommt eindeutig von oben. Mein Blick wandert
zur Zimmerdecke. Dort ist ein massiver Holzbalken. Ich stehe im Bett, strecke
mich mit der Hand am Ohr. Die Laute sind deutlich zu hören, trotzdem fehlen mir
glatte 90 Zentimeter, um das Geheimnis zu lüften. Ich blicke mich um. Nachtisch
und Stuhl fallen mir ins Auge. Ich schiebe die Lotterliege beiseite, türme den
Stuhl auf die Konsole und besteige mein Podest.
Jetzt, in zweimeterachtzig Höhe höre ich es genau – über
mir schmatzt und nagt es fortissimo! Ich strecke mich, währenddessen mir die
Schlafanzugshose nach unten rutscht. Ich bücke mich und greife nach dem
Hosenbund. Das Stuhlbein rutscht über die Kante und ich mache einen verwegenen
Ausfallschritt. Der Turm kippt, meine Hände suchen Halt und finden die Kette,
an der die Lampe hängt.
Gleich darauf befinde ich mich im freien Flug, höre ein hässliches Reißen von
Stoff und das Zerbersten von Glas, bevor ich wie eine Granate zwischen Stuhl
und Nachtkästchen auf die Bettvorlage aufschlage. Das schmatzende Ding über mir
schweigt. Aus dem Nachbarzimmer dringt eine wütende Frauenstimme: Ruhe! Als ich
mich erhebe, schmerzt mein linkes Auge und es zieht mächtig im Schritt. Mein
Gemächt baumelt in mediterraner Zugluft wie die Glocke auf dem Campanile von
Monte San Angelo. Ich sammle mich. Nichts gebrochen. Ich beschließe, Auge und
Stirn mit Wasser zu kühlen, tapse in Ermangelung erhellender Lichtquellen in
Richtung Bad und trete in etwas Scharfkantiges. Der stechende Schmerz an der
Ferse lässt mich aufheulen.
»Merda!«,
brülle ich.
»Ruhe!«,
brüllt es zurück. Eine Blutspur hinter mir herziehend erreiche ich das Bad.
Nach einer halben Stunde habe die Scherbe aus der Fußsohle entfernt und mein
T-Shirt als Verband um den Fuß gewickelt.
Ich sollte meinen Freund Gino holen. Aber wie sollte ich ihm die Geschichte
erklären? Gar nicht, denke ich mir. Das Chaos im Zimmer würde ihn nur
irritieren, wenn er mit mir den Schlafterroristen suchte. Ich verwerfe den
Gedanken und presse einen kalten Waschlappen auf mein lädiertes Auge.
Wahrscheinlich würde er mir nicht glauben, so wie ich aussehe. Und wenn
doch...?
Vermutlich würden wir zusammen schweigend im Dunkeln nebeneinander auf
Bettkante sitzen und dem Schmatzen und Nagen lauschen wie einer Arie von
Pavarotti. Danach würde er mir eines seiner Nachthemden borgen und ein anderes
Zimmer geben. Mit den Aufräumarbeiten auf dem Schlachtfeld dauert das bestimmt
eine Stunde und ich wäre wacher als je zuvor. Es musste eine andere Lösung geben.
Ich schaue im Kühlschrank nach einer Flasche Rotwein, um mich zu betäuben. Ich
finde eine kleine Flasche Grappa. Die tut’s auch, denke ich, setze mich an den
Sekretär und bechere. Nach dem fünften Glas wird mir warm im Gedärm und im
Schritt.
Das Bett muss wieder in die Mitte, denke ich, stehe auf und zerre es am Fußende
des Gestells in Richtung Fenster. Ein schleifendes Quietschen erfüllt den Raum.
Noch einen halben Meter! Ich hole Luft und zerre. Mit einem ohrenbetäubenden
Schlag kracht der Lattenrost aus der Verankerung. Es klopft energisch an der
Zimmertür. Ich humple mit schmerzverzerrtem Gesicht durch den Gang und öffne.
Eine dunkelhaarige Schöne in einem seidenen Hauch von Nichts steht mit
funkelnden Augen auf dem Flur.
»Können
sie mir verraten, was sie mitten in der Nacht in ihrem Zimmer treiben? Es ist
zwei Uhr...!« Ihr wütender Blick gleitet an mir herunter und bleibt an meiner
luftigen Pyjamahose hängen.
Ich lächle verlegen und versuche den Rest meines Beinkleides zusammen zu
raffen.
Bevor ich meine Blöße bedecken kann, zischt sie böse:
»Perverses Schwein!« Im gleichen Augenblick saust ihre kleine Faust auf mein
lädiertes Auge. Mein Hinterkopf knallt hart und geräuschvoll an den Türrahmen.
Während ich mit dem Funkenregen in meinem Schädel beschäftigt bin, dreht die
Dame ab und schimpft: »Das ist wohl das Letzte…! Ein besoffener Exhibitionist!«
Dann knallt eine Tür zu.
Angeschlagen schwanke ich zurück in mein Zimmer. Mir ist jetzt alles egal. Ich
robbe durch die Trümmer auf meine Matratze, rolle mich auf den Rücken und kühle
meine Wunden. Augen zu, Ohren gespitzt lausche ich dem Schmatzen und Nagen.
Kein Möbelknacken, kein surrender Kühlschrank und auch keine rhythmisch
quietschenden Bettfedern im Nebenzimmer. Keine Liftgeräusche, nichts. Nur dieses
mampfende Nagen, der stechende Schmerz im Fuß und das Dröhnen im Kopf. Gegen
halb drei gleite ich in einen Halbschlaf und mein letzter Gedanke ist: Hey –
geht doch! Der Schmatzer hat aufgehört, das Wesen scheint müde vom Fressen.
Aha! Es verdaut! Normalerweise ein geräuschloser Akt.
Am nächsten Morgen humple ich in den Speisesaal und setze mich an den
Frühstückstisch – wie gerädert und völlig übernächtigt. Gino bringt Cafelatte,
betrachtet neugierig meine Veilchen. Dann entdeckt er den dicken Verband am Fuß
und fragt: »Na? Gut geschlafen?«
»Nein!«,
antworte ich bissig. »Irgendein hungriges Mistvieh hat in meinem Zimmer genagt
und geschmatzt!«
»Ach...!«,
entgegnet Gino und grinst. »Mögen Holzwürmer seit Neuestem Füße!«
Überrascht blicke ich Gino an. »Die Masseria ist doch vollständig renoviert,
hast du mir gesagt. Wieso leben diese Würmer noch!«
»Keine
Ahnung. Wir haben das Holz imprägniert, aber nur biologische Substanzen
verwendet. Sie scheinen den kleinen Kriechern aber zu schmecken. Ich könnte
nachher den Balken mit einem starken Mittel behandeln. Du solltest aber dann
den Raum für einige Stunden nicht betreten. Dann hast du heute Nacht Ruhe.«
»Hmm«,
brumme ich.
»Hattest
du temperamentvollen Besuch heute Nacht?«, erkundigt sich Gino weiter und
begutachtet die Verfärbungen oberhalb der Backenknochen. »Wie es scheint, warst
du nicht ihr Fall…«
»Ich
verstehe nicht ganz!« erwidere ich.
»Na, ich
meine deine rassige Nachbarin! Sie kam in aller Frühe herunter und hat sich
beschwert. Angeblich sollst du ohne Hose auf dem Hotelflur herumgegeistert
sein. Sie hätte kein Auge zu getan.«
Ich gebe zu, ich wäre ihr unter anderen Umständen
gerne gewogen gewesen. »Ein Missverständnis«, knurre ich. »Ich habe einen Wurm
gejagt und bin dabei auf die Stuhllehne gefallen. Übrigens..., die Deckenlampe
ist futsch und das Bett zusammen gebrochen...«
Gino scheint für einen Augenblick nachzudenken. Die Art, wie er die linke
Augenbraue hochzieht und lächelt, macht mich wütend. »Wie gesagt, ich kann ihn
ausräuchern.«
Der Gedanke, dass man diesem Würmchen mit der Chemiekeule an den Kragen will,
behagt mir erst recht nicht. Vor meinem geistigen Auge sehe ich meinen kleinen
Holzwurm, wie er kraftvoll seine kleinen Zähnchen in die Späne haut, genussvoll
die Augen schließt, ohne Argwohn Gift schluckt und qualvoll eingeht.
»Nein, lass Mal!«, bitte ich Gino. Ich werde mich dran gewöhnen. Ich kaue unter
Schmerzen an meinem Pannino con Prosciutto. Wenn ich mit dem nachtaktiven Kerl
ein Agreement treffen könnte, dass er - sagen wir zwischen 19 und 24 Uhr - nagt
und schmatzt, danach aufhört und wartet, bis ich eingeschlafen bin. Es wäre
eine humanistische und vor allem wurm-ethnologisch vertretbare Lösung.
In der nächsten Nacht schlafe ich besser. Wie es scheint, nimmt der Holzwurm
Rücksicht, das Nagen ist leiser. Ich habe ihn kurz vorm Einschlafen Francesco
getauft. Vielleicht ahnt Francesco, in welcher Gefahr er schwebt. Längst ist
mir klar, dass mein nagender Zimmergenosse seit Monaten den Balken über mir
zernagt und nur deshalb überlebt, weil alle Gäste, die er um den Schlaf bringt,
nicht wollen, dass er vergiftet wird. Ich gehe nach dem Frühstück hinauf in
mein Zimmer, um meine Badesachen zu holen, blicke hinauf zum Balken und denke:
Unter den Holzwürmern ist Francesco ein Großer!
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Köstlich mehr davon Herr Mancini,krieg mich nicht mehr ein vor Lachen!
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