Wolfgang Schäuble schlägt immer dann aus dem
Hinterhalt zu, wenn er ein Blatt auf der Hand hat, bei dem man nicht mehr
verlieren kann. Und bis es soweit ist, lässt er sich nicht in seine gezinkten
Karten schauen. Seit ein paar Wochen spielt er souverän seine Trümpfe aus. Er
gab die Kanzlerin beim Interview vor zwei Tagen endgültig zum Abschuss frei. Mit
wohlgesetzten Worten verlieh er seinem hinterfotzigen Angriff eine
rechtschaffene Note.
Lange hat er darauf warten müssen. Mit maliziösem
Lächeln kostet er seine wirksamen Treffer aus, schließlich hat er jahrelang
unter Mutti leiden müssen. Denn Helmut Kohl hatte anstatt ihn Angela Merkel ins
Herz geschlossen, damals eine junge Politikerin, die in der DDR mit
marxistisch-leninistischer Muttermilch großgezogen wurde. Fortan musste
Schäuble kleinere Brötchen backen.
Doch vorgestern sah er seinen Tag gekommen. Er ließ er
im Interview bei der Stuttgarter Zeitung wissen: „In der Flüchtlingspolitik ist
es uns nicht rechtzeitig gelungen, in der weltweiten Kommunikation die Balance
zwischen Hilfsbereitschaft und der Begrenztheit unserer Mittel herzustellen.“ Bei
oberflächlicher Betrachtung kommt dieser Satz harmlos daher, hat aber
inhaltlich die Qualität eines gemeinen Leberhakens. Übersetzt heißt die
Botschaft: Angela Merkels epochale Fehlentscheidung haben wir zwar dem Bürger
als Erfolg verkauft, aber schließlich wollten wir unsere Jobs behalten.
Jetzt aber ist Muttis Machtverlust so offenkundig,
dass ihr schnelles Ende nahezu unvermeidlich ist. Da macht das Nachtreten
doppelten Spaß. Nach und nach kriechen hoch alimentierten Feiglinge der CDU aus
ihren Löchern. Klammheimliche Schadenfreude steht in ihren Gesichtern geschrieben. Einige Voreilige stimmen
ein neues Hohelied an. Nur für wen, da ist man sich noch nicht ganz einig. Man
bastelt noch an den Strophen. Merz oder Kramp-Karrenbauer, die Sache ist noch
nicht ausgekaspert, zumal Schäuble mit geschickten Finten und Charaden der
Saarländerin das Leben schwer macht. Selbstredend mit diplomatisch-unverbindlichem Duktus.
Der einst so niederträchtig geschasste Friedrich Merz
ist heute das Trumpf-As, das Schäuble im Ärmel hat und mit dem er offen droht.
Er weiß, sein Friedrich hat noch eine dicke Rechnung mit Angela offen und
eignet sich ideal für den Königsmord. Und da die späte Rache bekanntlich die
süßeste ist, muss er, wie einst bei Macbeth, der im August 1040 den
schottischen König Duncan der Ersten meuchelte, gut vorbereitet werden. Da
kommt es darauf an, dass man nicht versehentlich auf der falschen Seite steht.
Doch eine Hürde gibt es noch. Eine Saarländerin.
Wolfgang Schäuble hat die ersten Nadelstiche bereits
gesetzt. Jetzt holt er die Zimmermannsnägel heraus. Vorgestern erklärte er in
der „SZ“, dass er die von Kramp-Karrenbauer geplante Aufarbeitung der deutschen
Migrationspolitik für vollkommen überflüssig hält. „Bei allem Respekt, da
braucht es keine Aufarbeitungskommission“, meinte der Bundestagspräsident und
torpediert implizit das so genannte „Werkstattgespräch“, in dem die
CDU-Vorsitzende im Februar die Migrationspolitik aufarbeiten möchte.
Nun ja, prinzipiell bin ich auf der Seite des
76-jährigen Schäuble, wenngleich aus völlig anderen Gründen. Denn
kompromisslose „Aufarbeitung“ hieße, das Flüchtlingschaos in seiner ganzen,
verehrenden Auswirkung auf unsere Gesellschaft und den Staat auf den Tisch zu
legen. Ich kenne jedoch nicht einen einzigen Politiker, der sich trauen würde,
zu sagen, was er denkt.
Dem „Werkstattgespräch“ – irgendeinen Namen, der
Arbeit und Schweiß suggeriert, muss man ja der Sache geben, wird vermutlich wie
alle Arbeitskommissionen ablaufen. Häppchen, Säfte und Kaffee, Brainstorming
zur Evaluierung hübsch verpackter Botschaften mit anschließender Bestattung des
Flüchtlingsproblems. Ganz nach dem Motto: Wir wühlen nicht in der eigenen
Kloake, die Bürger könnten vom Gestank angewidert abwenden.
Inzwischen werden die semantischen Highlights vorbereitet,
wie: „Es soll mit Experten eine Bilanz gezogen und die Funktionsfähigkeit der
Instrumente geprüft werden“, so Kramp-Karrenbauer. In die Umgangssprache
übertragen hört sich das freilich so an: „Statistikfreaks werden
Kriminalitätsquoten auf ihre Fälschungseignung und Tauglichkeit prüfen, um die
Humanitätsbereitschaft der Bürger zu optimieren.“
Schäuble formuliert seine Kritik an Merkels
Flüchtlingsdesaster für den Normalbürger, als wolle er Puderzucker über
Scheiße streuen. „Ich war von Anfang an dagegen, eine gemeinsame
Flüchtlingspolitik in erster Linie an der Frage der Verteilung von Flüchtlingen
festzumachen. Die kann man nicht dekretieren. Das war nicht klug.“ Alle Wetter,
seine Kehrtwendung zur Flüchtlingsproblematik zeigt seine überragenden
Fähigkeiten, jahrelang mit falschen Karten zu spielen, ohne dass er bei der
Kanzlerin auffliegt.
Doch auch hier wieder eine Übersetzungshilfe für den
unbedarften Leser. „Es war völlig hirnrissig, unsere europäischen Partner
zwingen zu wollen, uns ein paar renitente Flüchtlinge abzunehmen. Es war extrem
dämlich von Angela. So etwas kann man nicht über die Köpfe der anderen anordnen.“
Wie recht er doch hat. Aber den Geist, den Merkel und Konsorten aus der Flasche
gelassen haben, sie werden ihn nicht mehr los. Auch Herr Schäuble nicht.
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